Die Pellinor Saga Bd. 1 - Die Gabe
begann, aber Maerad war bereits völlig gebannt. Sie kannte die Ballade nicht. Sie erzählte die Geschichte von Mercans langer Suche nach seiner Liebe Tirian, die von den Schergen des Eishexers geraubt worden war. Sie wurde in den Schneehallen des Nordens gefunden und nach Hause gebracht, aber Tirians Herz hatte sich in einen Eissplitter verwandelt, und sie sprach nicht mehr. Mercans Verzweiflung brach ihm das Herz, und als Tirian sah, dass er im Sterben lag, schmolz ihr Herz vor Mitleid. Sie weinte, und eine Träne fiel auf Mercans Gesicht. Er schlug die Augen auf, und kehrte ins Leben zurück. Der Frost im Land schmolz, die verdorrten Bäume erblühten, und der lange Winter war gebrochen. Cadvans Stimme schwoll an und ab, und während Maerad lauschte, sah sie vor sich die Bilder einer prächtigen Stadt, von Schiffen, die von einem weißen Hafen aus unter einem kalten, vor Sternen funkelnden Himmel in See stachen, von den rauen Gestaden eines fernen Landes. Die Musik erfüllte Maerads Geist wie sanfter Nieselregen, und sie seufzte vor Glückseligkeit, als wäre sie die feuchte Erde, die ihre Freude über den Frühling hauchte. Dann endete der Gesang, und es wurde geklatscht. Aus ihrem Bann erwacht, blinzelte Maerad. Überrascht stellte sie fest, dass ihre Lider feucht vor Tränen waren. Die Barden verlangten eine Zugabe, woraufhin Cadvan zu Maerad schaute und ihr ein Zeichen gab. Entsetzt schüttelte sie den Kopf, doch Cadvan zeigte sich unnachgiebig, und schließlich, zusätzlich von Saliman bedrängt, ergriff sie widerwillig ihre Leier und bestieg das Podium. Blind starrte sie auf die Menschenmenge und schluckte. Cadvan blickte zu ihr, um den Einsatz zu finden, dann schlug er die Akkorde für Die Ballade von Andomian und Beruldh an, die sie im Hain von Irihel zusammen gesungen hatten; es schien Jahre her zu sein. Maerad stimmte unwillkürlich mit dem Wechselgesang mit ein. Beim Klang der ersten Noten verging ihre Anspannung; im Schutze der Musik konnte sie ohne Furcht ganz sie selbst sein. Sie sangen nur jene Ballade, die als Einleitung der eigentlichen Geschichte diente, dann verließen sie umjubelt das Podium.
»Willst sie wohl hungrig lassen, wie?«, meinte Cadvan, als sie sich den Weg zurück zu ihren Sitzplätzen bahnten. »Du hast deine Sache hervorragend gemacht. Du hast, wenn ich das so sagen darf, einen ganz eigenen Stil. Und nach dem Beifall zu urteilen, dürfte er ab sofort in Inneil in aller Munde sein.«
»Es war gemein von Euch, mich dort hinauf zu holen«, stieß Maerad hitzig hervor. »Am liebsten wäre ich im Boden versunken.«
»Jetzt hast du deine Schuldigkeit gegenüber deinen Gastgebern getan und brauchst dir darüber nicht mehr den Kopf zu zerbrechen«, gab Cadvan ungerührt zurück. »Und du hast dich als wahre Bardin von Pellinor erwiesen. Es dürfte schwierig sein, das jetzt noch zu bestreiten.«
Als Maerad ihren Platz erreichte, klatschte Saliman immer noch. »Wo liegt diese Feste?«, fragte er. »Ich muss dort ein wenig Unterricht nehmen.«
Maerad fiel auf, dass Heigar ihren Stuhl verlassen hatte und etwas weiter weg mit einigen Leuten redete. Als Maerad zu ihr schaute, wandte sie sich ab. Saliman bemerkte es. »Deine Freundin misstraut Südländern«, sagte er.
»Oh«, machte Maerad. »Wieso?«
»So weit im Norden trifft man nicht viele wie mich an, deshalb stelle ich einen Fremdkörper dar.« Saliman sprach zwar mit unbekümmertem Tonfall, doch Maerad entdeckte eine gewisse Härte in seinen Augen und ein leichtes Verkrampfen der Lippen. »Und wir leben allgemein in Zeiten des Misstrauens.«
»Schenk dem keine Beachtung«, meldete Cadvan sich zu Wort. »Ich habe gesehen, dass Heigar dich ordentlich ausquetschen wollte«, fuhr er fort, an Maerad gewandt. »Ich fand, angesichts einer solchen Unverfrorenheit hast du dich wacker geschlagen.« »Sie hat gesagt, sie sei eine Freundin von Silvia«, sagte Maerad.
»Höchstens im weitesten Sinne des Wortes«, schränkte Cadvan ein. »Ich glaube, sie war nicht glücklich darüber, dass du so gut gesungen und so viele erfreut hast.« »Kennt Ihr sie?«
»Sagen wir, es gibt eine Geschichte zwischen uns. Aber du siehst mir ein wenig blass aus. Hier wird es noch die ganze Nacht so weitergehen, aber ich traue mich nicht, dich zu lange aufbleiben zu lassen, sonst zieht Silvia mir das Fell über die Ohren.« Und tatsächlich kam Silvia mit leuchtenden Augen auf ihren Tisch zu. »Gutgemacht, Maerad!«, rief sie aus. »Ich bin stolz auf dich:
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