Die Pellinor Saga Bd. 1 - Die Gabe
nicht zu durchschauen vermag. Und ich habe die Wahrheit gesagt, als ich über deine Gabe sprach. Sie ist ungewöhnlich, und ich kann dir besser als jeder andere, den ich kenne, beibringen, sie richtig einzusetzen.«
»Was ist, wenn ich nicht von hier weggehen will? Kann ich meine Meinung noch ändern?«
»Ja, das kannst du. Wenn du es für falsch hältst, würde ich nicht versuchen, dich vom Gegenteil zu überzeugen. Aber wenn, dann solltest du es dir jetzt anders überlegen, bevor es zu spät ist, und nur, wenn du aus tiefstem Herzen davon überzeugt bist, dass es anders nicht richtig wäre.«
»Wenn ich also einfach lieber hierbleiben möchte, reicht das nicht als Entschuldigung?«
»Nicht, wenn du es als richtig empfindest, dass ich dein Lehrer sein sollte.« »Ich will Silvia nicht verlassen.«
Cadvan bedachte sie mit einem Seitenblick.
»Silvia ist eine Frau, die man einfach gern haben muss«, meinte er. »Und sie hat dich bereits ins Herz geschlossen.«
Maerad spürte abermals Kummer in sich aufsteigen wie glühende Lava. Eine Minute lang brachte sie kein Wort hervor, während sie die Empfindung zurückdrängte. In Inneil hatte sie einen Ort gefunden, den sie bereits als Zuhause zu betrachten begonnen hatte. Cadvans leichthin gesagte Äußerung, dass Silvia sie liebte, überflutete ihr Innerstes mit schmerzlichem Glück. Das sollte sie verlassen? Es schien zu grausam, zumal sie es doch eben erst gefunden hatte.
»Silvia gibt mir das Gefühl… erwünscht zu sein«, murmelte sie mit erstickter Stimme. »Ich habe mich nicht mehr erwünscht gefühlt, seit…«
Eine lange Weile erwiderte Cadvan nichts.
»Maerad«, sagte er schließlich. »Ich will dir ein wenig davon erzählen, was ich denke und fürchte. Ich breche ja nicht gleich morgen auf; zumindest warte ich, bis das Konklave beendet ist. Je mehr ich darüber weiß, was in Annar vor sich geht, desto besser. In Zeiten wie diesen, in denen die Dinge sich so rasch verändern, scheinen Neuigkeiten sehr schnell zu altern… Während dieser Woche hast du Zeit zu überlegen, was du tun willst, und wofür du dich auch entscheidest, ich werde dir nicht im Weg stehen. Ich will keine Schülerin, der die Bürde, die ich ihr auferlege, widerstrebt oder nicht geheuer ist. Und es wird eine Bürde sein, gib dich da keinen falschen Vorstellungen hin.
Mein Gefühl beschränkt sich nicht nur darauf, dass unsere Begegnung vom Schicksal vorbestimmt war. Ich hege einen gewissen Verdacht, wer du vielleicht sein könntest. Jetzt ist wohl nicht der richtige Augenblick, ihn dir mitzuteilen, aber ich denke, man kann ohne Weiteres sagen, dass die Finsternis, wüsste sie, dass es dich gibt, größtes Interesse an dir hätte. Es wird nicht lange dauern, bis einige andere anfangen, zwei und zwei zusammenzuzählen und zu ähnlichen Schlüssen gelangen wie ich. Schon der Ansatz eines Verdachts würde reichen, dich in größte Bedrängnis zu bringen. Deine Geschichte hat bereits eine Menge Gerede verursacht, und dieser Tage haben selbst die Wände Ohren. Auf die Anwesenheit einiger Teilnehmer hätte ich beim Rat vorhin liebend gern verzichtet. Die Neuigkeiten von deiner Aufnahme werden sich rasch verbreiten; das lässt sich nun nicht mehr aufhalten. Ich glaube, wenn du hierbleibst, schwebst du in größerer Gefahr, als wenn du mit mir kommst. Ich kann dich besser beschützen als jeder andere außerhalb Norlochs. Zudem fürchte ich, du könntest eine Gefahr hierher lenken, die andernfalls ausbleiben würde.«
»Warum sollte die Finsternis ein Interesse an mir haben?« »Weil du Maerad von Pellinor bist.« »Aber das ist doch kein Grund.«
Cadvan hob die Schultern, und Maerad gab es auf. Offensichtlich würde Cadvan ihr erst dann mehr verraten, wenn er bereit dazu war.
»Was ist, wenn Ihr Euch irrt, was mich angeht?«
»Wenn dem so wäre, hätte ich schlimmstenfalls die vielversprechendste Schülerin in ganz Annar, was mir zur Ehre gereichen würde«, erwiderte er. »Aber ich irre mich nicht oft.«
»Wohin also gehen wir?«
»Nach Norloch, wie ich es schon vorhatte, als wir uns zum ersten Mal begegnet sind. Zum Hohesitz des Lichts in Annar. Ich muss dorthin, und mir scheint, das trifft auch auf dich zu. Deine Einführung und Namensgebung stehen immer noch an, und zu diesen Fragen möchte ich nur allzu gern den Rat meines alten Lehrers, Nelac von Lirigon, einholen. Und ich muss dort so oder so dem Obersten Zirkel Bericht erstatten.«
Eine Weile saßen sie schweigend da, und
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