Die Pellinor Saga Bd. 1 - Die Gabe
wieder ab. »Etwas, das Barden lernen und über allem anderen achten, ist Weisheit in Herzensangelegenheiten. Sie trachten danach zu verstehen, was genau sie lieben. Dernhil ist … nun ja, sehr leidenschaftlich. Ich finde, er hat sich nicht so weise verhalten, wie es angemessen gewesen wäre. Ihm würde der Gedanke widerstreben, dass er dich dermaßen in Aufregung versetzt hat.« Eine Weile schwieg sie. »Warum macht dir das so zu schaffen?«
»Habe ich etwas falsch gemacht?« Sie konnte Silvia nicht mitteilen, welche Angst ihr jener Ausdruck in Dernhils Gesicht eingejagt hatte; Silvia hätte es nicht verstanden. »Nein, Liebes, wie könntest du etwas falsch gemacht haben?« Sie tätschelte Maerads Hand. »Ich bezweifle, dass er der Letzte bleiben wird. Aber was empfindest du ?« Überrascht dachte Maerad über die Frage nach. »Für Dernhil? Ich weiß es nicht«, antwortete sie. »Ich meine, ich mag Dernhil sehr, er war ausgesprochen nett zu mir, aber ich betrachte ihn als… na ja, als einen Freund.«
»Das ist er auch, und das wird er bleiben«, pflichtete Silvia ihr voll Überzeugung bei. Sie schlang einen Arm um Maerad und zog sie dicht an sich. »Mach dir keine Sorgen. Dernhil ist ein erwachsener Mann und wird dir seine Gefühle nicht zum Vorwurf machen. Für Liebe braucht man sich nicht zu schämen: Sie ist ein Zeichen für ein großmütiges Herz, und Schmerz ist der Preis für eine offene Seele. Er weiß das. Jedenfalls«, sagte sie und verlieh dem Gespräch damit eine Wende, »hat Dernhil mich gebeten, dir das hier zu geben.« Sie reichte Maerad eine mit Wachs versiegelte Schriftrolle. »Er erschien mir recht bedrückt; jetzt ist mir klar weshalb. Darf ich ihm von unserer Unterhaltung erzählen?«
Maerad schüttelte den Kopf. »Sagt ihm nur, dass alles wieder gut ist«, bat sie. »Dann komme ich später wieder.« Damit verließ Silvia die Kammer.
Zweifelnd betrachtete Maerad das neue Pergament. Nach einer Weile brach sie zögerlich das Wachssiegel und rollte das Schriftstück aus. In Dernhils klarer, fester Handschrift stand ein Gedicht darauf geschrieben, das sie langsam entzifferte.
Von Schönheit betört
zertrampelte ich
ein Meer von Blüten.
Untröstlich der weinende Himmel!
Darunter hatte Dernhil hinzugefügt: Maerad, ich entschuldige mich aufrichtig für meine Torheit. Dein unverbrüchlicher Freund Dernhil. Sie betrachtete das Pergament eine lange Weile. Dabei beschlich sie verstohlen ein warmes, ihr neues Gefühl. Sie überlegte, ob sie auf die Botschaft antworten sollte. Natürlich, dachte sie. Vielleicht wird aus der Geschichte, wie ich ihm die Lippe blutig geschlagen habe, eines Tages ein Witz, so wie aus seinem Weltstreit mit Cadvan … Sie ging zum Tisch, holte etwas von dem Papier hervor, das Dernhil ihr gegeben hatte, und kritzelte mühsam: Danke, Dernhil. Von deiner Freundin Maerad. Sie würde Silvia später bitten, die Nachricht zuzustellen.
Dann fiel ihr erschrocken ein, wie spät es bereits war, und sie begab sich zum letzten Mal ins Badezimmer, ihrem Lieblingsraum im Haus. Sie hatte täglich gebadet, sich an dem warmen Wasser, den Ölen und dem Gefühl des Wohlbehagens ergötzt, das ihr beides verlieh. Sie ließ sich noch länger als sonst Zeit, und als sie in ihre Kammer zurückkehrte, erwartete Silvia sie bereits in Prunkgewändern.
Das Ankleiden schien beinahe ein Ritual, obwohl sie es zuvor erst einmal gemacht hatten und es sich diesmal als gänzlich anders erwies. Maerad empfand ob der feinen Sachen keine Verlegenheit und zog sich das Kleid selbst an, wenngleich Silvia ihr bei einigen Knöpfen am Rücken half. Während Silvia ihr das Haar kämmte und hochsteckte, saß sie vor dem Spiegel und stellte fest, dass die beim Kampf gegen die Werwesen erlittene Verletzung auf der Stirn inzwischen völlig verheilt war. Zurückgeblieben war nur eine hauchdünne weiße Linie in der Nähe des Haaransatzes. Wohlig lehnte sie sich an Silvia und seufzte.
»Ich werde dich vermissen, Maerad«, gestand Silvia, als sie aufstand. »Das Wagnis bei jeder Freundschaft ist leider ein wenig Kummer. Du hast bewirkt, dass ich mich an viele Dinge erinnerte, die ich liebe, aber die nicht mehr da sind. Das hat mir sowohl Freude als auch Schmerz bereitet, und dafür danke ich dir.« Sie holte ein kleines Päckchen aus einer Brusttasche hervor und überreichte es Maerad. »Ich wollte dir etwas schenken, das dich an mich erinnern soll. Es hat meiner Tochter Clavila gehört, und jetzt sollst du es
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