Die Pellinor Saga Bd. 3 - Die Krähe
als hätte der Elidhu tief in ihm einen Akkord der Zugehörigkeit angeschla- gen. Vielleicht stellte jenes Gefühl der Vertrautheit einen Teil der Musik dar, die Nyanar ihm eingehaucht hatte und die seinen Sinnen ein neues, unbehagliches Erwachen beschert hatte.
Hem überlegte, weshalb er sich an einem so wilden Ort, den er noch nie zuvor gesehen hatte, so heimisch fühlte. Das schien ihm ein noch größeres Rätsel. Was meinte Nyanar eigentlich mit Heim’? Solange Hem zurückdenken konnte, hatte er nie ein Heim gehabt; beinah sein gesamtes Leben hatte er alleine und verwaist verbracht, ausgesetzt in einer grausamen Welt. Turbansk war für ihn fast so etwas wie eine Heimat geworden; besonders, nachdem er herausgefunden hatte, dass er ein Heiler war, und somit etwas hatte, was er tun konnte. Doch Turbansk gab es nicht mehr. Und wenn er sich ein Heim für sich vorstellte, ein echtes Heim, war dabei stets Maerad im Spiel. Dies war ein anderes Gefühl, und er verstand es überhaupt nicht.
Er war zu müde, um weiter darüber nachzudenken. Ob es stimmte oder nicht, er konnte ein wenig von jenem verzauberten Schlaf gebrauchen; sein gesamter Körper sehnte sich eingedenk der Wonne jener Erholung danach. Sein Verlangen nach Schlaf überstieg sogar sein Bedürfnis nach Essen. Er bemühte sich krampfhaft, wach zu bleiben, doch seine Lider schlossen sich wie von selbst, und letztlich gab er das zähe Ringen auf und glitt in einen traumlosen Schlummer völliger Erschöpfung…
Und erwachte nach unermesslicher Zeit der Vergessenheit unter einem hohen Baum inmitten einer freien, unberührten Landschaft.
Wieder war es kurz nach Morgendämmerung. Die Strahlen der aufgehenden Sonne strichen über die zitternden Gräser und verwandelten einzelne Tautropfen in Prismen unerträglicher Helligkeit. Hem blinzelte und starrte um sich, der Bauch straff gespannt vor plötzlicher Erwartung: Würde Nyanar erneut in der Luft erscheinen und zu ihm sprechen? Er setzte sich auf und wartete eine scheinbar lange Weile, bebend vor einem sonderbaren unbeschreiblichen Verzücken, doch niemand erschien. Merkwürdigerweise enttäuschte ihn dies nicht, und die wohlige Spannung in ihm weitete sich aus und wurde stärker, bis er vermeinte, platzen zu müssen.
Ich bin hier, sprach eine Stimme in seinem Geist. Ich bin alles, was hier ist. Es gibt kein Hier, das nicht ich bin.
Es war fast so, als dächte Hem die Worte selbst, und doch wusste er, dass sie nicht von seinem eigenen Verstand stammten.
Sie sanken in sein Gehör so sanft wie Blütenblätter, die in einen Bach schweben. Hem nickte voll plötzlichem Verständnis und entspannte sich.
Ja, Nyanar war dieser Ort; hier war nicht sein Heim, er war jenes Heim. Langsam atmete Hem aus. Er glaubte, allmählich zu begreifen, was ein Elidhu war. Die Sonne erhob sich über die vor Bäumen dunklen Hügel und ergoss ihre Wärme auf seinen Rücken, und Hems Schultern lockerten sich, als er sich an seine Erschöpfung erinnerte. Er hatte sich nach diesem Ort gesehnt, hatte sich danach verzehrt, sich in dieses weiche Gras zu legen und sich zu erholen. Bedingungslos wie ein kleines Kind, das sich in die Arme seiner Mutter schmiegt, rollte er sich zusammen und schlief ein. Im Verlauf der nächsten Tage achtete Hem aufmerksam auf jegliche Wissensbrocken, wobei er feststellte, dass Schwertschwingers Einfältigkeit sich als nützliche Maske eignete. Da die Bluthunde Schwertschwinger für dumm hielten, unterhielten sie sich in seiner Gegenwart oft ungehemmt, als wäre er unsichtbar. Seine Nahrungsaufnahme hingegen entwickelte sich allmählich zu seiner größten Schwierigkeit: Seine Ausflüge in den Gemüsegarten wurden immer gefährlicher.
Bei seinem letzten Raubzug wäre er beinah in einen Hundsoldaten gelaufen, der in der Dunkelheit Wache hielt. Verwirrt und mit hämmerndem Herzen hatte er sich zunächst zurückgezogen, doch sein Hunger hatte letztlich seine Furcht überwogen, und er hatte sich trotzdem in den Garten gestohlen. Ihm war klar, dass man seine Diebstähle bemerkt hatte und es nur eine Frage der Zeit war, bis er ertappt würde. Als ein paar Tage später ein Bluthund wegen Gemüsediebstahls zum Stachel verurteilt wurde, schmetterten ihn Schuldgefühle regelrecht nieder. Wie Plünderer ihm mit schauderhaftem Genuss erklärt hatte, galt der Stachel als besonders grässliche Todesart, und das Kind wurde für Hems Verbrechen bestraft.
Er schloss sich einer kleinen Gruppe von Bluthunden an, die in ihren
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