Die Pellinor Saga Bd. 3 - Die Krähe
wissen. Plünderer warf ihm einen kurzen, verächtlichen Blick zu, und Hem erkannte, dass er eine Regel gebrochen hatte. Hastig verschleierte er seinen Fehltritt mit einem dümmlichen Kichern. In Sjug’hakar Im stellte man keine Fragen, wenn ein Bluthund verschwand, genauso wenig erkundigte man sich über irgendjemandes Vergangenheit.
Die Vergeltung für wirkliches oder angebliches Fehlverhalten war streng. Bereits nach kurzer Zeit im Lager begann Hem zu vermuten, dass Strafen willkürlich verteilt wurden, ohne auch nur den Ansatz eines Gedankens auf Gerechtigkeit zu verschwenden. Bluthunde wurden bestraft, um an ihnen Exempel für andere zu statuieren und den Bann, der die Bluthunde versklavte, durch Angst zu stärken. Außerdem dienten Strafen zur Unterhaltung.
Vom Stachel hatte Plünderer ihm bereits erzählt, aber es gab auch andere schlimme Strafen. Eine der gnadenreicheren - weil zumindest kurzen - war der Kötertod, den Hem am dritten Tag mit ansah. Wie üblich wurde den Blöcken befohlen, zu den vormittäglichen Übungen anzutreten, doch statt einer Pause für die Mittagsmahlzeit erfolgte eine Ankündigung durch einen der Untoten. Die Bluthunde brüllten undjauchzten, schwenkten die Waffen über den Köpfen und stimmten einen Sprechgesang an. Der Untote befand sich so weit weg, dass Hem ihn nicht hören konnte. Er wandte sich Plünderer zu, um ihn zu fragen, was vor sich ging.
Plünderer allerdings brüllte mit den anderen. Seine Miene hatte sich dabei in einer Blutgier verzerrt, die Hem zurückschrecken ließ. Zusammen ergab das Geschrei der Kinder ein gewaltiges Geräusch: »Kötertod! Kötertod!« Plünderer bekam Hems Frage nicht mit. Da Hem nicht auffallen wollte, stimmte er ebenfalls in den Sprechgesang mit ein.
Immer noch brüllend ordneten die verschiedenen Blöcke sich zu einer langen Linie an, die sich um den gesamten quadratischen Übungsplatz herum erstreckte. Sie legten die Waffen auf den Boden und streckten die Fäuste in die Luft. Dann führte die Spinne eine kleine Gestalt in die Mitte des Platzes. Die Gestalt zitterte so heftig, dass sie kaum laufen konnte, so viel erkannte Hem selbst aus der Ferne.
Einen schrecklichen Augenblick lang dachte er, es wäre Zelika. Dann jedoch sah er, dass die Gestalt zu groß war: Es schien ein Junge zu sein, an Händen und Füßen mit Ketten gefesselt. Als der Junge auf die Mitte des Platzes schlurfte, verstummten die Sprechgesänge nach und nach, und die riesige Menge der Bluthunde wurde vollkommen und bedrohlich still.
Die Spinne hob die Hand und ergriff das Wort. Obwohl der Untote die Stimme nicht erhob, hörte Hem ihn durch irgendeine Hexerei so deutlich, als spräche er neben seinem Ohr.
»Hier ist einer, der gegen die Regeln des Rudels verstoßen hat«, verkündete die Spinne. Von den Bluthunden ertönte ein Knurren, und der Junge wimmerte. Ein dunkler Fleck breitete sich auf dem Boden aus, wo er stand: Er hatte sich in die Hose gemacht. Hem hatte noch nie jemanden gesehen, der sich so sehr gefürchtet hatte.
»Was geschieht mit Verrätern?«, zischte die Spinne.
»Tod!« Das Wort grollte über den Platz, ehe wieder Stille einkehrte. Quälend langsam ging der Untote zurück zur Ersten Hütte. Der Junge blieb auf der Mitte des Platzes stehen - eine kleine, gebrochene Gestalt, mutterseelenalleine.
Als der Untote die Erste Hütte erreichte, schlug er einen Gong. Es war das Zeichen für plötzlich ausbrechenden Wahnsinn; die Menge der Kinder rannte gellend zur Mitte des Übungsgeländes los. Hem tat es ihnen gleich; ihm war übel vor Angst. Ein klein wenig hing er zurück, nicht so sehr, dass es auffiel, aber genug, um nicht bei den Ersten zu sein, die den Jungen erreichten. Als er sich diesem näherte, erhaschte er einen flüchtigen Blick auf dessen Gericht; der Mund hatte sich zu einem Schrei verzogen, den niemand hören konnte. Dann schwappte eine Woge schlagender, beißender, tretender Gestalten, die sich in rasende Dämonen verwandelt hatten, über ihm zusammen. Jemand stieß Hem in seinem inständigen Drang, mitzumachen, mit dem Ellbogen so heftig beiseite, dass er fast stürzte. Es war sehr schnell vorbei. Die Bluthunde, deren Blutdurst ebenso schnell versiegte, wie er heraufbeschworen worden war, begannen, scherzend und lachend zur Messe zurückzuschlendern. Viele waren mit Blut bespritzt, einige wischten es sich sogar von den Mündern. Ein Spätankömmling trat gegen die Überreste dessen, was noch vor wenigen kurzen Augenblicken ein
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