Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Pellinor Saga Bd. 3 - Die Krähe

Die Pellinor Saga Bd. 3 - Die Krähe

Titel: Die Pellinor Saga Bd. 3 - Die Krähe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alison Croggon
Vom Netzwerk:
unverbrauchter Kraft spannten, und seine Stimmung hob sich: Er könnte ewig rennen, schneller und schneller, immer der fahlen Sonne entgegen, die kalt über den purpurnen Bergen hing, die sich im Dunst in der Ferne abzeichneten. Es war ein Traumvon purer Freiheit. Er rannte aus schierer Freude daran auf einen Horizont zu, der weit hinter seinem Blickfeld lag.
    Der Traum wandelte sich in eine lebhafte, kurze Erinnerung an Maerad, wie sie in einem langen scharlachroten Gewand in Nelacs Wohnzimmer in Norloch stand. Sie hob ein Glas Laradhel an den Mund und lachte über eine geistreiche Bemerkung Salimans. Dann befand sich plötzlich Hems Vater, Dorn, bei ihnen im Zimmer, und Maerad wandte sich ihm keineswegs überrascht und lächelnd zu, um ihn zu begrüßen. In wachem Zustand konnte Hem sich nicht daran erinnern, wie sein Vater ausgesehen hatte: Er war zu jung gewesen, als Dorn starb. Dennoch wusste er, dass es sein Vater war. Dorn war ein großer Mann, größer als Saliman, mit einem scheuen, bezaubernden Lächeln. Er trug eine blaue, üppig mit Goldfaden bestickte Kluft, und seine Züge waren dunkel und gut aussehend. Er besaß dieselbe olivfarbene Haut wie Hem. Plötzliche strahlende Freude erfüllte den Jungen.
    Als er im kalten, trüben Licht vor dem Sonnenaufgang erwachte, weilte in ihm eine neue Kraft. Hem sah sich in der schäbigen Hütte um, die ihm in den vergangenen zwei Wochen als Zuhause gedient hatte. Er hatte nicht mehr das Gefühl, sein ganzes Leben in Räumen wie diesem verbracht zu haben, die der schale Gestank von Verzweiflung und ungewaschenen menschlichen Leibern durchdrang. Eine hartnäckige Hoffnung war tief in ihm erblüht. Es gab den Elidhu, der ihm aus eigenen, geheimnisvollen Gründen half, und es gab Maerad; Hem war nicht so alleine, wie er sich fühlte.
    An jenem Morgen führten die Untoten einen weiteren Zählappell durch. Vermutlich bereitete der Spitzel ihnen Sorge, dachte Hem; und vielleicht fürchteten sie auch, ein Bluthund könnte aus dem Blinden Haus entkommen sein und sich unter den anderen verbergen. Zum ersten Mal seit seinem schrecklichen Eindringen in jenes Gebäude dachte Hem an die anderen Kinder, die dort eingesperrt gewesen waren. Bisher hatte er jeden Gedanken an das Blinde Haus gemieden; es schien ihm zu grauenhaft, zu Mitleid erregend, darüber nachzugrübeln. Was war jenen Kindern widerfahren? Auch wenn Zelika nicht dort gewesen war, hätte er sie retten sollen? Hem war so grausam wie ein Untoter gewesen: Er hatte ihrem Leid und ihrem Grauen keine Beachtung geschenkt, sie wie Gegenstände beiseite gestoßen und dann einfach ihrem Schicksal überlassen. Der Gedanke daran, was er getan hatte, erfüllte ihn mit Schuldgefühlen. War dies dasselbe, was er Irc antat? Verwandelte er sich, ohne es zu bemerken, in etwas, das er hasste?
    Plötzlich ertappte er sich dabei, dass er sich mit ganzer Seele danach sehnte, mit Saliman zu sprechen. Saliman würde verstehen, wie zerrissen er sich fühlte, würde ihm helfen, klarer zu sehen, was er zu tun gedachte. Allein Salimans Lächeln zu sehen und wie er den Kopf zurückwarf, wenn er lachte, sodass ihm die Locken wie ein schwarzer glänzender Fluss auf den Rücken fielen, wie er mit den Händen Bilder in die Luft malte, während er sprach …
    Doch mittlerweile war der Zählappell vorüber. Lustlos rührte sich Hem, bereit, zu Blut-Block Zwei zurückzustapfen, um sein Bündel zu holen, aber die Spinne sprach; ihre Stimme schlängelte sich in Hems Ohr wie eine weiche, tödliche Stimme. »Meine kleinen Köter«, sagte die Spinne nachgerade liebevoll. »Meine süßen kleinen Blutmeister. Es wird euch gewiss sehr freuen zu hören, dass wir die Lausin unserer Mitte, den Spitzel in unseren Reihen gefunden haben.«
    Jäh hörte Hem aufmerksamer zu, und er vergaß ob seiner Überraschung kurzzeitig, dass er Schwertschwinger sein sollte; der ihm am nächsten stehende Untote fuhr mit plötzlicher Wachsamkeit forschend herum. Fluchend stärkte Hem seinen Schild und leerte den Kopf. Er konnte sich keinen einzigen Fehler leisten; mit jedem Tag, den er hier verbrachte, wurde seine Lage gefährlicher. Grölend jubelte er mit den anderen Bluthunden -obwohl seine Haut sich eiskalt vor Angstschweiß anfühlte -, und er sah mit Erleichterung, dass der Untote sich wieder abgewandt hatte.
    Verstohlen spähte Hem den Pfad zum Zaun entlang: Wenn er sich mit einem Glimmerschleier umgab, könnte er es dorthin vielleicht schaffen und darüberklettern. Doch

Weitere Kostenlose Bücher