Die Pellinor Saga Bd. 4 - Das Baumlied
verbirgt sich kein großes Geheimnis dahinter, wie ich euch aufgespürt habe, junger Hem; du brauchst keine Angst wegen der Stärke deiner Glimmerschleier zu haben. Eure Spuren waren sehr klar, und ich konnte die Pferde riechen. Und den Schlafzauber habe ich eingesetzt, weil ich fürchtete, dass ich getötet werden könnte, wenn ich nicht zuerst auf Saliman, sondern auf einen seiner Gefährten stieße. Was, wie sich herausgestellt hat, eine keineswegs unbegründete Vermutung war.« Abermals rieb er sich den Hals, und Hem sah, dass er Blut an den Fingern hatte: Hem hatte ihn geschnitten.
»Es tut mir leid«, sagte er. »Ich hätte ehrlich nicht damit gerechnet, hier auf einen Freund zu treffen.«
Grigar rückte näher, bis sich ihre Köpfe beinah berührten. »In Desor gibt es mehr Freunde, als ihr denkt«, sagte er. »Ich bin nicht der Einzige, der mit Grauen beobachtet, was sich hier vollzieht. Ich war nur der Erste. Aber wir müssen rasch handeln, Saliman; morgen bei Anbruch der Dämmerung werden sie die Brüllhunde loslassen, und sie werden euch finden. Ihr seid hier nicht sicher: Der junge Mann, den du getötet hast, Hrunsar, war der Sohn von Handar, dem Obersten Barden, und man wird für seinen Tod Blut sehen wollen.«
Salimans Züge verhärteten sich. »Er hatte ein bösartiges Gebaren«, sagte er. »Er war einer der verderbtesten Barden, die ich je gekannt habe, schlimmer als sein Vater«, gab Grigar ihm recht. »Ich glaube, sein Vater hat ihn in die Folterkammern mitgenommen, als er noch ein Kind war. Ihr hattet Pech, dass er am Posten war; er hat dort einen Freund besucht. Sonst wärt ihr wahrscheinlich ohne Schwierigkeiten durchgekommen.« Grigar seufzte. »Aber jetzt schlage ich vor, euch in das Haus einer Freundin von mir zu bringen, ein bis zwei Wegstunden von hier entfernt. Wir müssen unsere Spuren mit jeglichen Mitteln verbergen, die uns zur Verfügung stehen, von unseren Kenntnissen des Waldes bis hin zu Magie, und das ist mit zwei Pferden schwierig. Den Brüllhunden misslingt es selten, ihre Beute aufzuspüren, wenn sie erst eine Fährte haben, wenngleich ich auf dem Weg hierher getan habe, was ich konnte, um die eure zu verwischen.«
Hem fragte sich, was Brüllhunde waren, und gelangte zu dem Schluss, dass er es lieber nicht herausfinden wollte. »Wird den anderen Soldaten nicht auffallen, dass du nicht da bist?«, fragte er unvermittelt.
»Dafür habe ich mir eine Geschichte zurechtgelegt. Macht euch um mich keine Sorgen. Aber wir müssen uns beeilen. Ihr solltet jetzt eure Freundin wecken, die so friedlich schlummert. Eigentlich hatte ich gehofft, diese Wirkung bei dir zu erreichen, Hem.«
Hem nahm Gedankenverbindung zu Irc auf und weckte ihn. Die Krähe flatterte verdrossen auf Hems Schulter und zwackte ihn scharf ins Ohr, während Grigar ihn mit lebhafter Neugier beobachtete. Saliman rüttelte indes behutsam Hekibel wach. Erschrocken setzte sie sich mit zerzausten Haaren auf, und als sie Grigar erblickte, stieß sie einen leisen Schrei aus, schlug sich mit den Händen auf den Mund und kauerte sich an Saliman.
Der dunkelhäutige Barde legte ihr einen Arm um die Schultern. »Hab keine Angst«, sagte er. »Dieser Mann ist ein Freund; wir können ihm vertrauen. Er wird uns an einen sicheren Ort führen. Aber wir müssen gleich aufbrechen.« Hekibel blinzelte, stellte jedoch keine Fragen. Rasch bauten sie ihr notdürftiges Lager ab, dann gab es eine kurze Verzögerung, während der die drei Barden gemeinsam ein Geflecht von Verschleierungsbannen woben, um jegliche Anzeichen ihrer Gegenwart selbst vor den schärfsten Sinnen zu verbergen. Danach brachen sie auf und führten die Pferde hinter Grigar durch den Wald.
Es war eiskalt, als sie eine Stunde vor dem Morgengrauen ihr Ziel erreichten. Im Gegensatz zu den anderen hatte Hem nicht geschlafen, weshalb er mittlerweile so müde war, dass er sich wie betäubt fühlte und Irc auf der Schulter ihm schwer wie ein Stein vorkam. Nachdem sie den Wald verlassen hatten, setzte Saliman ihn auf Usha, während Hekibel auf Minna stieg. Schneller kamen sie deshalb allerdings nicht voran, weil Saliman und Grigar die Pferde, die selbst vor Müdigkeit stolperten, weiter zu Fuß führten. Nach Mitternacht begann rings um sie ein dichter Nebel aufzusteigen, der den Mond und die Sterne verhüllte. Es war so dunkel, dass sie keine Spanne weit vor ihre Nasen sehen konnten, und sie waren gezwungen, gedämpfte Makilons einzusetzen. Doch obwohl sie keinen Pfaden
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