Die Pellinor Saga Bd. 4 - Das Baumlied
Klang der Noten. Als sie die Reiter erblickte, sprang sie mit einem Aufschrei auf die Beine.
Cadvan hatte gerade ein Stück entfernt Kaninchenfallen aufgestellt, doch er kam sofort herbeigerannt.
»Es ist Hem!«, rief sie aus und deutete gen Westen. Sie zitterte am ganzen Leib. »Endlich!«
Cadvan schirmte mit den Händen die Augen ab und spähte hin. Die Reiter befanden sich noch so weit entfernt, dass er nichts an ihnen erkennen konnte; allerdings begleitete sie ein Gefühl verborgener Macht.
»Bist du dir sicher, dass es Hem ist?«, fragte er schließlich und wandte sich ihr zu. »Ich bin nicht überzeugt davon, dass es keine Untoten sind. Ich habe die vergangenen Tage gespürt, wie sich die Schatten der Finsternis in meinen Geist geschlichen haben, und ich fürchte, sie kommen immer näher.« »Ich bin mir sicher«, erwiderte Maerad.
»Hast du dich davon überzeugt?«, hakte Cadvan nach. »Hast du mit ihm gesprochen?«
Das Leuchten in Maerads Zügen erlosch. »Nein«, flüsterte sie und wandte das Gesicht ab.
»Ich finde«, meinte Cadvan mit einem schneidenden Unterton in der Stimme, »es wäre gut, sich zu vergewissern, bevor diese Leute, wer immer sie sein mögen, uns nah genug kommen, um uns zu schaden.«
»Aber -« Maerad hob die Hände und ließ sie hilflos wieder sinken. Sie wusste nicht, wie sie Cadvan beibringen sollte, wie sehr sie die Stimmen fürchtete, die in ihre Träume sickerten, wie sehr sie sich davor fürchtete, dass sie jedes Mal, wenn sie ihre Macht einsetzte, den Spalt in ihrem Geist weiter öffnete, der ihnen Einlass verschaffte.
»Maerad, wenn du die Macht dazu besitzt, nutze sie. Oder willst du einfach abwarten, bis jemand herkommt und uns niederstreckt, weil du dich weigerst, das Schwert zu deinen Füßen aufzuheben? Hast du mir nicht selbst gesagt, dass du keine Angst vor Untoten hast?«
Maerad presste die Lippen aufeinander und erwiderte nichts. Cadvan starrte sie an, und seine Augen verfinsterten sich vor Zorn.
»Das Letzte, was ich erwartet hätte, ist, dass der Preis dafür, deine Kräfte freizusetzen, darin besteht, dass du den Mut verlierst«, sagte er nach ausgedehntem Schweigen. »Oder vielleicht hat die Finsternis nun lediglich die Möglichkeit, in deinen Geist einzudringen und dich durch blanke Angst außer Gefecht zu setzen. Ich weiß es nicht, Maerad, und ich bin zu wütend, um mir darüber den Kopf zu zerbrechen.«
»Du verstehst das nicht«, erwiderte Maerad verletzt. »Du -«
»Natürlich verstehe ich es nicht. Wie könnte ich es verstehen? Aber mir scheint, dass ich der größte Tor von ganz Annar bin und sich meine Feinde gerade ins Fäustchen lachen.«
»Was soll das heißen?«, gab Maerad zurück. »Es - es ist nicht die Finsternis, vor der ich mich fürchte …«
»Wovor hast du dann Angst?«, verlangte Cadvan zu erfahren, wirbelte herum und fasste ihr Kinn mit der Hand, sodass sie gezwungen war, ihm unmittelbar in die Augen zu blicken. »Beim Licht, Maerad, wovor hast du Angst, wenn nicht vor der Finsternis? Weißt du, was die Finsternis in diesem Augenblick in diesem Land anstellt? Spürst du nicht, wie sie sich gleich einem riesigen Maul nähert, bereit, uns alle zu verschlingen?«
Maerad blinzelte. »Du tust mir weh«, sagte sie.
Cadvan holte tief Luft und ließ sie los, wenngleich er ihr weiter in die Augen sah. Er wirkte keinen Deut weniger wütend.
»Sag es mir, Maerad. Bitte sag es mir. Was ist es?«
»Ich glaube… es sind die Toten«, flüsterte Maerad. »Ich kann die Toten hören. Sie kommen in meine Träume, mehr und mehr, und ich höre sie die ganze Zeit… Ich weiß nicht, wer sie sind.«
Cadvans Augen weiteten sich vor Erstaunen; er trat einen Schritt zurück und schaute erst in Richtung der Reiter, dann zurück zu Maerad. »Die Toten?«, fragte er. »Die Toten jagen dir Angst ein? Welche Toten?«
Maerads Kinn erzitterte, und sie wischte sich grob mit dem Handrücken über die Augen. »Sie bedrohen mich nicht, aber ich kann es nicht abstellen. Seit ich …« Abermals wischte sie sich über die Augen. »Und ich weiß, wenn ich meine Kräfte erneut einsetze, wird es nur noch schlimmer werden.«
Cadvan musterte ihre Züge eingehend, und die Wut floss aus den seinen ab. »Dann sage ich jetzt zu dir, Maerad, was du vor acht Tagen zu mir gesagt hast. Es ist bereits zu spät. Wir wussten beide nicht, was geschehen würde, wenn du deine vollen Elementarkräfte heraufbeschwörst. Indem du dich nun vor dem verkriechst, was du entfesselt
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