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Die Pellinor Saga Bd. 4 - Das Baumlied

Die Pellinor Saga Bd. 4 - Das Baumlied

Titel: Die Pellinor Saga Bd. 4 - Das Baumlied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alison Croggon
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Arme in geheimnisvoller Anbetung zum Himmel emporgestreckt. Gegen Abend rannte lachend ein Kind vor sie, und Maerad zügelte Keru jäh, weil sie fürchtete, es könnte unter ihren Hufen zertrampelt werden, bevor sie erkannte, dass der Junge gar nicht da war. All diesen Visionen haftete etwas Wehmütiges an, und Maerad sprach mit niemandem darüber.
    Als sie den Milhol erreichten, hielten sie kurz an und ließen die Blicke über die Landschaft streifen. Die Steinstraße leuchtete weiß im Licht des späten Nachmittags, und so weit das Auge reichte, rührte sich nichts. Das einzige Anzeichen von Leben bildeten zwei Falken, die hoch am Himmel kreisten, und einige Graureiher, die durch das Ried staksten.
    »Hier hat es kein Hochwasser gegeben«, stellte Saliman fest, während er die Ebenen von Peredur betrachtete, die sich auf der gegenüber liegenden Seite des Flusses erstreckten. »Dem Licht sei Dank. Ich hatte genug Schlamm für den Rest meines Lebens.«
    »Ja«, pflichtete Cadvan ihm bei. »Bislang ist uns das Glück gewogen. Wenn wir den Fluss hier überqueren, können wir nördlich der Bruchhügel weiterreiten und anschließend über die Usk-Brücke ins Katenmoor gelangen. So halten wir uns ein gutes Stück von Ettinor fern. Meine einzige Befürchtung war, dass der Milhol über die Ufer getreten sein könnte, was uns aufgehalten hätte. Aber ich denke, wir sollten rasch weiterziehen; irgendetwas an dieser Stille gefällt mir nicht, und ich will nicht auf dieser Seite des Flusses verweilen.«
    An dieser Stelle war das Gewässer breit, aber seicht, und wies an beiden Ufern weitläufige, feste Sandbänke auf, sodass die Überquerung sich nicht schwierig gestaltete. Das Licht schwand rasch, während sie die Furt bewältigten, doch obwohl die Pferde vor Erschöpfung bereits stolperten, ritten sie bis nach Anbruch der Abenddämmerung weiter, ehe sie anhielten.
    Maerad bot an, die Wache zu übernehmen, da sie kein Verlangen nach Schlaf verspürte, aber Cadvan, der sie besorgt musterte, verbot es und bestand darauf, dass sie sich ausruhte. Wenngleich er es nicht aussprach, war er zutiefst in Sorge um sie. Es lag über einen Tag zurück, dass sie ihre Macht eingesetzt hatte, dennoch leuchtete ihre Haut immer noch vor jener seltsamen, goldenen Magie; tatsächlich schien der Glanz sogar noch etwas heller zu sein als zuvor. Und er fand, dass in ihren Augen etwas Entrücktes lag, ein Flackern wie Wahnsinn, als sähe sie Dinge, die es nicht gab. Dann fiel ihm ein, was sie ihm über ihre Träume erzählt hatte, und ahnte, was sich ihren Augen offenbaren mochte. An jenem Abend verweigerte sie das Essen gänzlich, trank nur Wasser und auf Hems Drängen hin etwas Medhyl und sprach kaum ein Wort.
    Maerad hatte den ganzen Tag lang das Gefühl verfolgt, zu schrumpfen; die unendliche Macht, die sie berührt hatte, als sie Hem rief oder als sie die Untoten zerstörte, erschien nun außer Reichweite und unvorstellbar, als wäre sie jemand anderem widerfahren. Ihr Körper fühlte sich zerbrechlich und leicht wie ein Glaswerksplitter an, und sie spürte ihre Sterblichkeit deutlicher denn je zuvor in ihrem Leben. Das Baumlied nahm sie als Glühen in ihrer Haut wahr, und ein leises Murmeln, von dem sie wusste, dass es ein Vorzeichen der Musik war, schien nach wie vor durch ihre Knochen zu schwingen. Allerdings erfüllte diese Beinahe-Musik sie nicht mit Macht, sondern mit Trostlosigkeit und Leere, als wäre sie ebenso gehaltlos wie die Schatten der Toten, ein Trugbild, das man auf einer sich verdunkelnden Ebene flüchtig erspäht, ehe es im nächsten Augenblick verschwindet.
    Ein warmer Südwind kam auf, strich über das Gras und ließ die Aste der Bäume erzittern, unter denen sie Zuflucht gesucht hatten. Uber den Himmel breitete sich eine Wolkenschicht aus, und der Mond ging nebelhaft und trüb auf, warf ein fahles Licht auf das menschenleere Land ringsum. Hem hatte die erste Wache, saß mit untergeschlagenen Beinen da und lauschte dem Wind, während Irc auf seinem Schoß wie ein Kätzchen tief und fest schlief. Hem war so müde, dass er an überhaupt nichts dachte; er glich nur Ohren und Augen, hatte seine Sinne in die Nacht entsandt und ließ sie wachsam auf jegliche Veränderungen achten, die Gefahr verheißen mochten.
    Der Mond kletterte seinem Höchststand zu, als Maerad sich zu ihm gesellte. Er brauchte sich nicht umzudrehen, um zu wissen, wo genau sie sich befand: Ihre Gegenwart loderte in seinem Bewusstsein wie eine flammende

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