Die Pelzhändlerin (1. Teil)
unglücklich ist. Ich kann verstehen, dass du auf deine Liebe verzichtet hast – und verstehe es gleichzeitig doch nicht.
Die Freiheit, sich in Dingen ausdrücken zu können, etwas zu schaffen, ist göttlich und tröstet über viel Unbill hinweg. Aber ist die Geborgenheit und Vertrautheit einer Liebe weniger wert? Ja, Sibylla, du wirst staunen, dass ich diese Worte schreibe. Ich werde älter, und mit jedem Jahr wächst die Sehnsucht nach einem Menschen, der zu mir gehört, mehr. Stell dir vor, ich sehne mich sogar nach Kindern!
Aber trotzdem bin ich die alte Lucia, die du kennst, geblieben. Verwundere dich nicht, Sibylla, ich schreibe diesen Brief des Nachts. Und nachts sind die Gedanken andere als am Tag. Es ist, als ließe die Dunkelheit die Seele heller leuchten, während der Tag mit seiner Geschäftigkeit allein den Geist und den Körper beansprucht.
Isaak schrieb mir, dass er sich zu Pfingsten verheiraten wird. Ich hoffe, Sibylla, du schickst mir einen ausführlichen Bericht über die Hochzeit. Und sei nicht traurig, dass er nun eine andere zum Traualtar führt.
Lass dich umarmen von deiner Lucia
Langsam ließ Sibylla den Brief, den der Bote heute Morgen aus Florenz gebracht hatte, sinken. Isaak Kopper heiratet?, dachte sie entsetzt. Die Nachricht versetzte ihr einen schmerzhaften Stich. Natürlich hatte Sibylla Isaak nicht vergessen. Wie denn auch? Er war der Mann, den sie liebte. Noch immer liebte, obwohl sie einem anderen den Vorzug gegeben hatte. Und jetzt heiratete er. Hieß das, dass er sie nicht mehr liebte? Hatte er sie gar vergessen?
Was erwartest du, Sibylla?, rief sie sich selbst zur Ordnung. Du hast ihn abgewiesen. Soll er dir für den Rest seines Lebens hinterhertrauern? Du hast dich für ein Leben entschieden, in dem du die Arbeit der Liebe vorgezogen hast. Aber du kannst nicht verlangen, dass Isaak dasselbe tut.
Ihr Verstand sagte ihr, dass sie kein Recht hatte, jetzt verletzt oder wütend zu sein. Aber ihr Herz krümmte sich vor Schmerz und Traurigkeit.
Doch wie immer, wenn ihre Seele krank und elend war, stürzte sich Sibylla mit noch größerem Eifer in die Arbeit. Das Kleid für die Willmerin musste angefertigt werden. Stundenlang saß Sibylla grübelnd in der Einrichterei. Ja, sie hatte viel Erfahrung mit Nadel und Faden, doch ein Kleid zu schneidern, das verlangte Handwerkskunst, und an ebendieser mangelte es ihr. Es war ein gewaltiger Unterschied, ob man Kissenhüllen oder einfache Pelzumhänge zuschnitt, vernähte und verzierte oder ein Kleid.
Weder ihre fünf Gesellen noch die beiden Pelznäherinnen oder gar die Lehrbuben konnten ihr helfen. Selbst der Schneidergeselle, der zwar die Innenfutter der Pelze hervorragend zuschnitt und vernähte, war nicht in der Lage, ein Kleid zu nähen. Was also sollte sie tun?
Plötzlich kam ihr ein Gedanke, der so kühn war, dass sie beinahe darüber erschrak.
Sie eilte in die Küche zu Barbara und ließ sich noch einmal den neuesten Markt- und Brunnenklatsch erzählen.
«Was war mit dem Schneider, von dem du erzählt hast, Barbara?»
«Meister Schulte meint Ihr?»
«Den, von dem du heute Morgen berichtet hast.»
«Ja, Meister Schulte sitzt im Schuldturm. Geld hatte er sich nach der Pest leihen müssen, da alle Stoffe vernichtet wurden. Reingefallen ist er dabei auf einen Wucherer. Schließlich konnte er den Zins und Zinseszins nicht zurückzahlen, und heute Morgen haben ihn die Schergen abgeholt und unter dem Gegröle der Menge in den Schuldturm geschafft. Geweint hat er, der arme Mann, und um Erbarmen gefleht für seine drei Kinder, die nun allein sind. Für 100 Gulden, so sagt man, hätte der Wucherer 125 Gulden zurück haben wollen. Dabei hat die Stadt nur einen Zins von 23 Gulden pro 100 Gulden im Jahr erlaubt.»
«Hmm», machte Sibylla und starrte über Barbara hinweg auf die Wand.
«Stellt Euch nur vor», plapperte Barbara weiter. «Sogar die Zunft hat ihm nicht helfen können. In der Lade sei kein Geld, heißt es. Wenigstens die Kinder sind bei anderen Schneidern untergebracht, solange Schulte im Turm hockt. Doch wie es danach mit dem Mann weitergehen soll, das weiß nur Gott …»
Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, verließ Sibylla die Küche und ging, gehüllt in ihren besten Umhang, zuerst in die Zunftstube der Gewandschneider und wenig später zusammen mit dem Zunftmeister zum Schultheiß, der die Gewalt über den Schuldturm hatte. Der Zunftmeister bestätigte, dass Meister Schulte nun frei von Schulden sei und – nach
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