Die Pelzhändlerin (1. Teil)
nicht, die Werkstatt alleine zu führen?»
Lucia schien diese Frage zu belustigen. «Florenz ist die Stadt der schönen Künste und Wissenschaften. Es gibt keine Zünfte nach deutscher Art, dafür eine Vielzahl von Werkstätten. Maler, Bildhauer, Schnitzer, alle sind sie in Florenz tätig. Auch an Dichtern, Philosophen, Gelehrten und Musikanten ist die Stadt reich. Wir Florentiner lieben das Leben, suchen nach seinen schönen Seiten und freuen uns daran.»
Sie erzählte vom Alltag in Florenz, vom Duft der Olivenhaine und Oleanderbüsche, von den Festen, an denen die ganze Stadt teilnahm, von der Sonne, dem Geruch der Erde, von den Menschen und Bräuchen. Und Sibylla lauschte und fühlte eine seltsame Sehnsucht nach dieser fremden, unbekannten Stadt in sich aufsteigen.
«Es muss herrlich sein, in Florenz zu leben», sagte sie noch ganz verzaubert.
Lucia nickte. «Das stimmt, doch auch Frankfurt hat seine Vorzüge.»
Das mochte Sibylla gar nicht glauben, zu schön erschienen ihr die Beschreibungen der Freundin.
Die Welt, von der Lucia erzählte, war die Welt, von der Sibylla träumte. Ein Ort, wo es möglich war, Gefühle in Dinge umzuwandeln, aus Träumen Kleider zu schneidern und als Frau ein eigenständiges Leben zu führen. Ein Leben, in dem nicht die Regeln der Zunft den Alltag bestimmten, sondern Schönheit und Freude. Ein Leben, weit weg von der Erinnerung an die Wäscherin Luisa.
Lucia führte ihr eigenes Leben. Eines, das sie selbst gewählt hatte. Und Sibylla wünschte sich nichts sehnlicher als es ihr gleichtun zu können. Damit würde es ihr vielleicht gelingen, die Andere endgültig zu vergessen und der Mutter zu entkommen, die sie allein mit ihrer Anwesenheit daran erinnerte, dass sie nicht die war, die sie zu sein vorgab. In Marthas Augen, das wusste sie, würde sie immer Luisa bleiben.
Es wurde Abend, und die beiden mussten sich trennen. Als Sibylla durch die Schnurrgasse nach Hause lief, war ihr Kopf schwer von Anregungen und ihr Herz leicht vor Freude darüber, dass sie eine Freundin gefunden hatte, die ähnlich dachte und fühlte wie sie. Ja, mehr noch. Eine Freundin, die sagte und dachte, die fühlte und machte, was Sibylla zwar in sich spürte, aber niemals gewagt hatte. Eine neue Zeit war für sie angebrochen, da war sie sich ganz sicher. Alles würde anders werden, und sie würde endlich beweisen können, was in ihr steckte.
Die erste Idee kam ihr zwei Tage später bei der Hochzeit des Zunftmeisters der Goldschmiede in der Liebfrauenkirche. Ein Jahr lang war er Witwer gewesen, bevor er sich nun erneut verheiratete.
Die Braut war die Tochter eines verarmten Adeligen aus dem nahen Taunus. Sie trug ein Kleid aus goldenem Samt, darüber eine goldbestickte Stola aus kurzem Marderfell.
«Oh, wie wunderschön ist die Braut. Glück und Segen ihr und ihrem Gatten», flüsterte Christine Sibylla neiderfüllt ins Ohr. Doch die Ebelin, die vor ihnen stand, mischt sich sofort ein: «Ja, schön ist sie wohl. Doch verstößt sie gegen die Kleiderordnung. Teure Pelze mit Goldstickerei sind verboten, auch einer Adligen, die einen Bürger heiratet. Protzen will sie und uns Handwerkern eine lange Nase drehen.»
Selbstgefällig sah die Ebelin ihre Nachbarinnen an. «Geld für Pelze, Gold und Geschmeide habe ich wohl. Doch was nützt es, wenn ich nicht zeigen darf, was ich habe?», fragte sie und deutete auf ihren Ausschnitt, der von einem dichten Brusttuch bedeckt war. Sie schob das Spitzentuch zur Seite und zeigte stolz eine große goldene Kette mit einem blitzenden blauen Stein hervor. «Es ist eine Schande, dass ich die Kette unter dem Brusttuch tragen muss, während die da vorn sich schmückt wie eine Kaiserin», schimpfte sie leise.
Christine war ganz ihrer Meinung. «Auch ich liebe Stickereien aus Perlen und Gold. Am Unterkleid trage ich einen Saum davon. Doch niemand sieht ihn. Es ist wahr, die Kleiderordnung ist eine Schande für das Handwerk.»
Sibylla hatte gut zugehört. Sie hasste die Ebelin seit dem Vorfall auf der Messe, doch jetzt hatte sie sie auf eine Idee gebracht. Die Kleiderordnung war wirklich ein Ärgernis für viele Bürgerhaushalte. Immer mehr Adlige verarmten und konnten sich die teuren Kleider kaum leisten, ohne sich zu verschulden. Die Bürger aber, reich geworden durch die Zünfte, mussten sich bescheiden. Der Unmut darüber brodelte in allen Straßen und Gassen der Altstadt: Goldschmiede und Diamantenschleifer, denen es bei Strafe verboten war, den eigenen Schmuck zu
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