Die Pension am Deich: Frauenroman
Schritt bereut und wieder vor deiner Tür steht? Dann knalle ich sie ihm vor der Nase zu! Paul ist leider Gottes ein Feigling. Er würde nie ganz bei mir sein. Auf einen zerrissenen Mann, der meinen Busen nur zum Ausweinen braucht, kann ich verzichten. Tomke fummelt ihr Taschentuch aus der Hosentasche und schnieft herzhaft hinein. Nee, das hat sie nicht nötig. Nicht mehr. Sie wird sich noch einen Tee kochen und eine DVD von Harry Potter einlegen. Das wird ihr gut tun.
Als sie die Tür öffnet, steht Anne vor ihr. Ihre Hand ausgestreckt. Anscheinend wollte sie gerade klopfen. Tomke sieht irritiert an ihr hoch. Anne lächelt verlegen.
«Ich will Sie nicht lange stören, aber …«
Danach stammelt diese schwindelerregend große Frau wild drauflos. Sie würde vor Hunger gleich sterben, aber hätte nichts Essbares dabei und wolle heute Abend nicht mehr in eine Gastwirtschaft.
Tomke muss lächeln. Wenn sie das verbeulte Gesicht von Anne betrachtet, kann sie verstehen, warum sie nicht mehr nach draußen will. Außerdem kommt es ihr gerade recht, einen Augenblick Gesellschaft zu haben. Sie war kurz davor, richtig sentimental zu werden.
»Kein Problem. Ich rette gerne, wenn Rettung so einfach geht. Kommen Sie mit, nächste Tür links ist die Küche.«
Anne bleibt unschlüssig stehen. Warum ziert sie sich noch? Hat sie nun Hunger oder hat sie keinen? So ein Getue ist nicht gerade Tomkes Wellenlänge.
»Das ist wirklich sehr nett. Ich bin auch sofort wieder verschwunden. Schließlich haben Sie und Ihr Mann Feierabend«, haspelt Anne entschuldigend.
Daher weht der Wind. Tomke beginnt zu begreifen.
»Nee, ist schon gut. Sie stören nicht.«
Nach kurzem Zögern fügt sie hinzu: »Ich bin Witwe!«
Endlich bewegt sich Anne und folgt ihr in die Küche.
»Ich habe sogar etwas ganz Feines auf Lager. Jedenfalls für eine, die aus Hannover kommt«, verkündet Tomke.
»Hameln«, korrigiert ihr Gast freundlich. »Ich komme aus Hameln an der Weser.«
Als sie die Krabben sieht, huscht ein ungläubiges Lächeln über ihr Gesicht. »Hui, das ist wirklich etwas ganz Besonderes. Ich wäre aber auch mit einem Käsebrot zufrieden.«
»Schnick-Schnack«, fegt Tomke den halbherzigen Einwand beiseite. Resolut beginnt sie, Schwarzbrot, Butter und Krabben auf ein Tablett packen.
»Sie brauchen das nicht nach drüben zu tragen. Wir können gerne hier bleiben. Ich bin ein absoluter Küchenfan.«
Tomke sieht sie überrascht an. Sie hätte diese Frau irgendwie vornehmer eingeschätzt. Jedenfalls nicht als eine, die es vorzieht, in einer winzigen Küche zu sitzen, obwohl eine Tür weiter ein großzügiger Esstisch bereitsteht. Aber gut. Sie muss zugeben, die Neigung gefällt ihr. Sie sitzt hier auch am liebsten.
Tomke zündet die Kerze auf der Fensterbank an. Sie steht in einem rotmarmorierten Glas. Bei Kerzen und Windlichtern kann sie sich schwer zurückhalten und muss aufpassen, nicht in ihre alte Sammelleidenschaft zu verfallen. Einmal Sammlerin, immer Sammlerin, hat Torben schon gelacht. Aber es hat ihm eindeutig gefallen, die altvertraute Schwäche an seiner Mutter wiederzuentdecken.
Anne setzt sich auf einen der beiden Stühle. Der Anblick von Essbarem lässt ihr regelrecht das Wasser im Mund zusammenlaufen.
»Mögen Sie dazu ein Bier?«
»Ich würde lieber einen Tee trinken, einen Kräutertee. Sonst kann ich nicht schlafen.«
»Igitt!«, schüttelt sich Tomke. »Was ekelig. Doch nicht zu einem Krabbenbrot.«
Anne lächelt ergeben. »In Ordnung, dann ein Bier. Aber wenn Sie Ihr ›friesisch Herbes‹ haben, bitte mit Limo oder Wasser.«
»Hört sich auch nicht gerade lecker an.« Die beiden müssen lachen.
Tomke stellt Bier und Brause auf den Tisch: »Nun legen Sie mal los. Ich dachte, Sie sind kurz vorm Verhungern.«
Das lässt sich Anne nicht zweimal sagen. Sie bereitet sich ein Brot mit Butter und Krabben zu und isst es in einer atemberaubenden Geschwindigkeit. Das ist kein gewöhnliches In-sich-hinein-Schlingen. Das ist präzises Abbeißen, Kauen, Schlucken. Als hätte man einen Film auf Zeitraffer gestellt.
»Keine Hemmungen, bedienen Sie sich weiter«, ermutigt sie Tomke. Sie sieht deutlich, dass Anne noch nicht satt ist. Die schmiert sich sofort eine zweite Scheibe und verputzt sie in dem gleichen rasanten Tempo wie die erste. Tomke sitzt ihr staunend gegenüber und trinkt ihr Bier – ohne Brause, versteht sich. Sie hat noch nie jemanden so schnell und konzentriert essen sehen. Es macht ihr Spaß, das zu
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