Die Perfekte Braut
Schlitz geschoben, der eine Tasche im Innenfutter bildete: 5. Oktober 1902. Wenige Wochen vor dem Tod seiner Frau, während sie in Agonie lag und er ihr Leid nicht mit ansehen konnte, hatte Lord Arthur Duncan sich bereit erklärt, das Projekt einer Transsahara-Bahn zu finanzieren, und sich verpflichtet, monatlich tausend Pfund an Barclay Earl und Teilhaber, die Betreiber des Projektes, zu überweisen.
Als er nicht mehr zahlen konnte, hatte er sein Haus verpfändet. Sie griff wieder in das Seitenfach. Es steckte noch ein Papier darin. Ein halber Bogen, dünn zusammengerollt wie eine Zigarette, als hätte der Empfänger es nicht ertragen, das Geschriebene zu lesen. Als sie das Papier glatt strich, begriff Prudence warum.
Mein lieber Duncan,
bedauerlicherweise gibt es schlechte Nachrichten, da es mit dem Geschäft nicht klappt. Der Mahdi macht wieder Ärger, und die Schwierigkeiten mit Gordon in Khartum sind noch nicht vergessen. Im Moment scheint unser kleines Projekt von geringem Interesse zu sein. Das rollende Material befindet sich an Ort und Stelle, unsere Leute sind einsatzbereit, doch beschlossen unsere Gewährsmänner, die Vereinbarung aufzukündigen.
Politische Rücksichten, heißt es. Wir sind mit hunderttausend Pfund im Rückstand. Nur zu Ihrer Beruhigung - auf das Pfandrecht pochen wir erst, wenn die Lage wirklich verzweifelt wird.
Barclay.
Allem Anschein nach war sie noch nicht verzweifelt genug, überlegte Prudence. Dass ihr Vater ohne ihr Wissen aus dem Haushaltsbudget monatlich tausend Pfund für seine Zahlungen abzweigte, war ausgeschlossen. Also hing die Pfändung wie das sprichwörtliche Damoklesschwert über ihnen. Ihr Vater musste Höllenqualen ausstehen. Und trotzdem war er bereit, als Leumundszeuge für diesen Betrüger, diesen Scharlatan, diesen abgrundtiefen Schurken auszusagen?
Es überstieg ihre Vorstellungskraft. Sie konnte noch verstehen, dass ein von Kummer aus dem Gleichgewicht geratener Mensch unkluge Entscheidungen traf. Nun waren seit dem Tod ihrer Mutter fast vier Jahre vergangen. Gewiss hatte ihr Vater sich inzwischen wieder so weit gefasst, dass er erkennen musste, wie übel man ihm mitgespielt hatte.
Prudence lehnte sich auf dem harten Stuhl zurück und klopfte mit der Bleistiftspitze auf den Tisch. Stolz würde Arthur Duncan daran hindern, seine Fehler einzugestehen oder den Mann zur Rede zu stellen, der ihn getäuscht hatte. Stolz würde ihn veranlassen, den Kopf weiterhin in den Saharasand zu stecken.
Sie setzte sich wieder aufrecht hin. Wie immer es auch um den Zustand ihres Vaters bestellt sein mochte, sie hatten nun jedenfalls etwas, um ihre Klage zu untermauern. Jetzt kam es darauf an, Barclay Earl und Teilhaber gründlich zu überprüfen. Hatte die Gesellschaft eine gesetzliche Grundlage? Hatte sie jemals eine solche gehabt? Die ganze Idee einer Eisenbahn durch die Sahara war an sich schon absurd. Zumindest für Menschen, die nicht vor Kummer den Verstand verloren hatten, korrigierte sie sich. Um den Prozess zu gewinnen, galt es nun zu beweisen, dass alles von Anbeginn an auf Betrug aufgebaut war. Dass man Lord Duncan überredet hatte, in ein betrügerisches Unternehmen zu investieren. Und zwar so viel, dass er den Familienbesitz verpfändet hatte, als er seinen Zahlungsverpflichtungen nicht mehr nachkommen konnte.
Prudence, deren schlechtes Gewissen wie weggeblasen war, entnahm nun der Kassette und dem Ordner alle relevanten Seiten und verstaute sie in ihrer Handtasche. Gideon würde schon wissen, wen man beauftragen konnte, um die Firma Barclay Earl und Teilhaber zu prüfen. Irgendwo musste es ein Firmenregister geben. Sie trank den Rest des Kaffees aus, sperrte die Schließfachkassette ab, klappte die Ordner zu und verließ den Raum. Ein Angestellter brachte sie an die Tür, sie trat hinaus in den Regen und spannte ihren Schirm befriedigt auf.
Chastity stand an der Ecke der schmalen Straße vor einem Eisenwarenladen und spähte zu Mrs. Beedles Geschäft hinüber. Zehn Minuten waren vergangen, seitdem der Mann mit dem Homburg und dem etwas abgetragenen Mackintosh beim Eintreten die Türgl o cke zum Erklingen gebracht hatte.
Es nieselte, und sie war in ihrem Burberry-Regenmantel, einem wasserdichten Hut mit Halbschleier und einem großen Schirm sowohl gut geschützt als auch relativ unkenntlich. Seitdem der Mann den Laden betreten hatte, war sie die Straße einmal entlanggeschlendert, hatte aber von der gegenüberliegenden Seite nicht in den Ladenraum sehen
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