Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Perlenzüchterin

Die Perlenzüchterin

Titel: Die Perlenzüchterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Di Morrissey
Vom Netzwerk:
rundum zu umarmen. Etwas näher erstreckte sich ein niedriger Bergkamm, unter dessen Überhängen sich Höhlen zu verbergen schienen. Die aufgehende Sonne verzauberte die nüchterne Felswand: Sie spielte mit ihren Formen, Lichtverhältnissen und Farben und schuf so ein sich beständig veränderndes Kunstwerk.
    »Wunderschön, nicht wahr?«
    Die leise Stimme hinter ihr ließ Lily herumfahren. Ein hoch gewachsener junger Mann von vielleicht Anfang dreißig saß auf einem Baumstamm, teils im Unterholz verborgen. Er hatte rotblondes Haar, das ihm ins Gesicht fiel, ein breites Lächeln und grüne Augen. Er war auf eine lässige Art außerordentlich attraktiv. Lily konnte sich gut vorstellen, was geschah, wenn er eine Szene-Bar in Sydney beträte. Er stand auf und schob sich die Haare aus der Stirn. »Jetzt ist die beste Tageszeit.«
    Lily fasste sich wieder. »Ja, das stimmt. Ich stehe gern früh auf, wenn ich hier draußen bin. Fern von der Stadt. Wenn ich in Sydney bin, verschlafe ich.«
    »Ja, das kenne ich.« Er lachte. »Ehrlich gesagt bin ich gar nicht ins Bett gekommen, gehöre ich dann eigentlich überhaupt zu den Frühaufstehern? Ich bin Timothy Hudson – Tim.« Er ging auf sie zu.
    Lily schenkte ihm ein herzliches Lächeln und streckte die Hand aus. »Lily Barton. Ich habe mich hier fantastisch amüsiert. Und Sie?«
    »Hey, man kann ja kaum anders.« Sie gaben sich die Hand, und als Lily ihm in sein freundliches, attraktives Gesicht sah, mochte sie ihn auf Anhieb. Manchmal muss man jemanden erst kennen lernen, und manchmal weiß man sofort, ob man jemanden mag oder nicht. »Das war eine großartige Heimkehr für mich.«
    »Sie sind hier zu Hause? Wo sind Sie denn gewesen?«, fragte Lily. »Gehen wir ein Stück?« Sie begannen, das Wasserloch zu umrunden.
    »Geboren bin ich in Albany, aufgewachsen in Perth. Die meiste Zeit war ich irgendwo im Westen. Aber die letzten Jahre habe ich in Indonesien gearbeitet. Ich war gerade erst wieder in Broome aufgeschlagen und dachte mir, dass ich diese Party nicht verpassen darf. Nur Aussies können so was veranstalten.«
    »Aha, Sie wollten sich also eine Kulturtransfusion holen, um sich ihrer nationalen Identität zu vergewissern. Zwanglos, aber doch durchorganisiert, wilde, harte Trinker und Cocktailgesellschaft, Didgeridoo am Lagerfeuer und Operngesang unter Sternen«, fasste Lily zusammen.
    »Ich hab da drüben ziemlich wilde Zeiten erlebt. Aber Sie haben Recht – kulturell gesehen war das nicht mein Zuhause. Das hier fühlt sich vertrauter an, selbst für einen Stadtmenschen.«
    Lily nickte zustimmend und machte eine ausholende Handbewegung. »Schauen Sie doch – es ist großartig, magisch.«
    »Und keine Menschenseele in Sicht. Dieses Gefühl von Weite und Leere habe ich in Asien vermisst, den Frieden …«
    »Ach je, es tut mir Leid, dass ich Ihren Frieden, ihre Meditation gestört habe«, sagte Lily rasch.
    Der junge Mann warf ihr einen kurzen Blick zu. »Manchmal ist Gesellschaft trotzdem willkommen, wenn es die richtige ist.« Schweigend gingen sie einige Schritte, dann sagte er leise: »Die Stille, das ist noch etwas, was ich vermisst habe.«
    In dem Augenblick flogen unter lautem Kreischen zwei Kakadus über sie hinweg. »Ruhe!«, brüllte Tim und schüttelte die Faust. Sie mussten beide lachen.
    »Also, was haben Sie jetzt vor? Bleiben Sie länger in Broome?«, fragte sie.
    »Ich hoffe schon. Kennen Sie Broome gut?«
    »Ich lerne es immer besser kennen.«
    Tim lächelte. »Sie leben dort?«
    »Ich denke darüber nach«, meinte Lily. »Was haben Sie in Indonesien gemacht?«
    »Ach, ich habe zuerst bei einem kleinen Hilfsprojekt mitgearbeitet, regierungsfinanzierte Arbeit. Nichts Spektakuläres. Dann habe ich dort für ein privates Unternehmen gearbeitet. Es hat mir Spaß gemacht, aber ich habe wohl Heimweh bekommen.«
    Lily hob einen Stein auf, musterte ihn genau und warf ihn dann ins Wasserloch. Sie betrachteten die konzentrischen Wellen.
    »Und was machen Sie in Broome?«, fragte er, als sie ihren Spaziergang wieder aufnahmen.
    »Ich sehe mich um, versuche, den Ort ein wenig besser zu verstehen«, antwortete Lily absichtlich vage. »Dieser Teil Australiens ist völlig faszinierend, finden Sie nicht auch?«
    »Dagegen lässt sich nichts sagen.« Tim ließ ein schelmisches Grinsen aufblitzen.
    Sie gingen weiter, und plötzlich merkte Lily, dass sie Hunger hatte. »Unter normalen Umständen fände ich Rum und Rippchen zum Frühstück ja nicht sehr verlockend,

Weitere Kostenlose Bücher