Die Perlenzüchterin
Pauline zurückkam.
»Ja. Die gute alte Haut. Er sorgt sich wegen der Preise der Perlengroßhändler und wegen dem Zeug aus China und Indonesien, das den Markt überschwemmt. Er mag den legendären traditionellen Perlenschmuck lieber. Meine Entwürfe sind ihm ein bisschen zu modern.«
»Wer ist euer Lieferant?«
»Ach, wir arbeiten mit den kleineren Firmen, die großen Ernten der Großproduzenten gehen direkt nach Übersee. Das Exportgeschäft hat einen Umfang von vielen hundert Millionen Dollar. Perlen aus Broome sind etwas Exklusives, absolute Spitzenware.«
Lily meinte nachdenklich: »Ich wüsste gerne, was mein Urgroßvater heute von der Branche halten würde.«
»Kapitän Tyndall? Der ist ja eine Legende. Was ist eigentlich mit seinem Perlenunternehmen geschehen?«
»Mit Star of the Sea? Ach, das gibt es nicht mehr. Nach Olivias Tod gab es niemanden, der es führen konnte, und die Perlenfischerei kam in den 50 er-Jahren in die Krise.«
»Das waren lange harte Jahre«, meinte Pauline. »Und dann war da doch diese schreckliche bakterielle Infektion, die die Austern Mitte der 80 er-Jahre beinahe ausgerottet hätte. Ich habe meine Hausaufgaben gemacht.« Sie grinste. »Im Augenblick ist es unmöglich, in die Perlenzucht einzusteigen, weil die Branche so strenge Auflagen hat, um die Naturperlen nachhaltig zu schützen. In ganz Westaustralien gibt es nur sechzehn Konzessionen.«
»Ich habe mich oft gefragt, was wohl aus den alten Pachten und den Camps geworden ist«, sinnierte Lily. »Wenigstens das Haus ist noch intakt, aber die Schuppen am Hafen sind alle abgerissen worden.«
»Warum forschst du nicht bei der Historischen Gesellschaft nach? Die haben Aufzeichnungen über sämtliche Flotten. Ich bin sie durchgegangen, weil ich wissen wollte, in wessen Schuppen ich mein Geschäft habe.«
»Ich glaube, das mache ich«, sagte Lily. »Die gute alte Val kann mir bestimmt die Aufzeichnungen für Star of the Sea heraussuchen. Vielleicht lese ich auch Olivias Tagebücher noch einmal. Ihre Geschichte hat mich so mitgerissen, da habe ich manche Details gar nicht mitbekommen, zum Beispiel, wo genau am Ufer Tyndall seine Schuppen hatte. Aber gut, ich lasse dich lieber wieder an die Arbeit gehen. Ich weiß doch, wie beschäftigt du bist. Komm vorbei, bevor du in die Staaten fliegst. Und ich würde furchtbar gerne einen Blick auf die Kollektion werfen, die du mitnimmst.«
»Geht in Ordnung, Lily. Während wir uns hier unterhalten, arbeiten die Jungs hart.« Zwei Goldschmiede schliffen und polierten Paulines Entwürfe und fassten ihre traditionellen Stücke. Sie arbeiteten in einem einfachen Blechschuppen im Industriegebiet, während Pauline ein winziges Designstudio an der Rückseite ihres Geschäfts besaß. Mit fünfundzwanzig erwies sie sich bereits als tüchtige Geschäftsfrau, nicht nur als kreative Designerin.
Auf den Kaffeeklatsch folgten ein paar Bahnen Schwimmen vor dem Essen, was Lily umso mehr genoss, als sie die einzige Schwimmerin im Pool der Moonlight Bay Apartments war. Für gewöhnlich sorgten der Arbeitsbeginn oder bei Touristen der Terminkalender dafür, dass sich der Pool bald nach dem Frühstück leerte. Nach ein paar Bahnen drehte sie sich auf den Rücken, ließ sich treiben und beobachtete die Seeadler, die hoch über der Bucht ihre Kreise zogen. Sie schloss die Augen und tauchte in die Vergangenheit ab.
Im Nu sah sie sich in den alten Zeiten auf dem unordentlichen Deck eines Loggers, und ein machtvolles Déjà-vu-Gefühl stellte sich ein. Lag es daran, dass sie von Olivia so viel über den Existenzkampf in der Perlenfischerei gelesen hatte? Oder floss in ihren Adern ein wenig von dem Seefahrerblut ihres Urgroßvaters? Dieses Gefühl von Nostalgie, in die sich ein wenig Aufregung mischte, verblüffte Lily. Sie wünschte, sie könnte zurückgehen in die Blütezeit der Perlenfischerei, als die Flotte des Star of the Sea die beste Flotte der Bucht gewesen war. Sie dachte an die Tragödien und die Erfolge des Unternehmens, die nun beinahe vergessen waren. Wo war die legendäre Muschel, in der sternförmig angeordnet sieben Perlen lagen? Sie hatte das Unternehmen finanziell abgesichert, nach ihm war es benannt worden. Diese legendäre Muschel war eines der ganz großen Stücke, die Australien hervorgebracht hatte. Von der Natur auf dem Meeresboden vor Broome erschaffen, war sie an einen indischen Maharadscha verkauft worden. So viele Perlen waren zu persönlichen Schätzen geworden, ob sie einzeln als
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