Die Pestmagd
Glasmaler wie der verstorbene Severin Arnheim.«
Er bückte sich, hob einen Korb hoch, dem er verschiedene Gefäße entnahm, die er auf den Tisch stellte. Dann streifte er sich dicke Lederhandschuhe über.
» In diesem ersten Topf befindet sich Flusssäure«, sagte er. » In eben jener Verdünnung, wie sie Glasmaler verwenden. Das ist doch richtig, Meister Hantsch?«
Der Glasmaler nickte.
» Gut.« Vincent nahm ein Stück Brot und träufelte mittels einer Pipette einen Tropfen der Säure darauf. Dann hielt er es in Richtung des Grewen.
» Riecht Ihr es?«, fragte er.
» Selbstverständlich.« Bornheim wich zurück. » Bleibt mir bloß vom Hals mit diesem Gift!«
» Ihr riecht es also. Selbst aus dieser Entfernung. Sagt mir, wie sollte dann jemand davon essen, ohne es zu merken?«
Bornwegs kleiner Mund wurde noch schmaler.
» Sie wird es natürlich verdünnt haben«, zischte er. » Oder sie hat es unter stark gewürzte Speisen gemischt – fragt die Mörderin, nicht mich! Sie kann am besten mit dem Gift umgehen.«
Vincent griff nach dem zweiten Topf.
» In diesem Topf ist die Säure nur noch ein Drittel so stark wie im ersten«, sagte er. » Und auf diesem Teller habe ich geschmorten Braten, mit reichlich Salz und ordentlich Pfeffer abgeschmeckt.« Er träufelte gleich mehrere Tropfen aus dem zweiten Säuretopf auf das Gericht. Dann streckte er es dem Grewen entgegen. » Riecht Ihr etwas?«
Wieder wich dieser zurück, dieses Mal stumm.
In Johanna flackerte ein winziges Flämmchen der Hoffnung auf.
» Ihr riecht es also«, sagte Vincent. » Das ist gut. Und ihr würdet es niemals in den Mund stecken. So wiederhole ich meine Frage: Wie hätte man jemandem ohne sein Wissen etwas …«
» Genug!«, schrie der Grewe. » Ich werde nicht zulassen, dass Ihr die Würde dieses Verhörs weiter schmäht mit Euren Broten, Braten und Töpfen. Habt Ihr verstanden? Was Ihr hier vorbringt, überzeugt mich in keiner Weise. Wenn sie es ihm nicht so verabreicht hat, dann eben auf irgendeine andere Weise.« Wie ein aufgebrachter Troll fuhr er zu Johanna herum. » Gesteh endlich, Sünderin! Und lass uns dieses lächerliche Schauspiel hier beenden!«
Johanna spürte, wie ihre Beine sie nicht länger tragen wollten.
» Ich bin unschuldig«, flüsterte sie, während die Hoffnung in ihr erlosch. » Ich hab meinem Mann kein Leid zugefügt.«
Der Grewe machte eine ungeduldige Geste, als wollte er Johanna zum Schweigen bringen.
» So kommen wir nicht weiter«, sagte er. » Ich hätte niemals auf Euch hören und sie in der camera lassen sollen, bis sie endlich Vernunft annimmt. Ich werde den Scharfrichter rufen lassen, damit er sie …«
» Einen Augenblick noch, Graf Bornweg!« Vincents Stimme war noch tiefer als sonst. » Ich bitte Euch, Meister Hantsch ein paar Fragen stellen zu dürfen.« Er streckte die Hand in einer bittenden Geste aus und stieß dabei wie zufällig an das Schreiben des Erzbischofs, das er schnell wieder gerade rückte. » Seine Antworten können Licht ins Dunkel bringen.«
Für einen Augenblick sah es aus, als wollte der Grewe schon den Kopf schütteln. Dann fiel sein Blick auf die erzbischöflichen Zeilen, die Vincent ihm förmlich unter die Nase geschoben hatte, und er nickte knapp.
» Drei«, sagte er. » Und fasst Euch kurz!«
Johanna begann zu frösteln. All ihre Körperhärchen stellten sich auf.
» Ihr könnt die linke Hand nicht mehr gebrauchen, Meister Hantsch. Weshalb?«, begann Vincent.
» Ein paar Tropfen Flusssäure sind darauf gespritzt, in die Haut eingedrungen und haben meine Knochen zerfressen. Drei Tage lag ich auf Leben und Tod. Doch ich habe Glück gehabt. Meine Hand ist zwar unbrauchbar, ich aber lebe.«
» Ist das ein Einzelfall?«, fragte Vincent weiter.
» Keineswegs«, versicherte Hantsch. » Jeder Glasmaler hat mit dieser Substanz zu tun. Du kannst so vorsichtig sein, wie du willst – irgendwann bekommst du doch etwas davon ab. Es reicht schon, sie ständig einatmen zu müssen. Sie schädigt die Lungen, führt zu Kurzatmigkeit und Bluthusten, auch wenn du kein einziges Tröpfchen davon verschluckt hast.«
» Kommt zum Ende!«, drängte der Grewe.
» Letzte Frage«, sagte Vincent, ohne sich beirren zu lassen. » An welcher Krankheit ist Severin Arnheim gestorben, dessen Werkstatt Ihr gekauft habt?«
» Das kann ich Euch ganz genau sagen, denn ich habe sein Dahinsiechen über Monate beobachtet«, sagte Hantsch. » Arnheim litt an eben jener Krankheit, die wir alle so
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