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Die Pestmagd

Titel: Die Pestmagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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schon dreimal vergebens zum Dom gelaufen war. Jetzt, da der Abend sich über die Stadt senkte, war die Anzahl der Bettler, die hier herumlungerten, deutlich gesunken. Doch sosehr Vincent sich auch nach allen Seiten umschaute, eine Frau, die Sabeth hätte sein können, entdeckte er nirgendwo.
    Während der Wind ihm hässlich unter den Mantel pfiff, entschloss er sich, zum letzten Mal zur Westpforte zu gehen.
    Dort schmiegte sich ein schmales Mädchen an einen älteren Mann, beide so abgerissen und ärmlich, dass sie sein Mitgefühl erregten.
    » Kennt ihr eine Sabeth?«, fragte er, während er ein paar Kupfermünzen herauszog und dem Mädchen in die schmutzige Hand drückte.
    » Wer soll das sein?« Der Bettler kam plötzlich so nah, dass Vincent unwillkürlich zurückwich. » Habt Ihr nicht gesehen, wie schön meine Hilla ist? Für sechs Pfennig könnt Ihr sie gleich haben. Und für zwanzig die ganze Nacht.«
    Das Mädchen streckte ihm die knospenden Brüste entgegen, als hätte sie sich schon viele Male zuvor beliebigen Männern angeboten, während der Vater ihr einen aufmunternden Klaps auf den Hintern versetzte.
    » Zeig dem Herrn, was du zu bieten hast!«, sagte er. » Komm schon, stell dich nicht so an!«
    Er wollte die eigene Tochter verkaufen, die fast noch ein Kind war und höchstens zwölf oder dreizehn Jahre zählte.
    » Bleib mir damit vom Leib!«, sagte Vincent abwehrend. » Die Frau, die ich suche, ist mindestens fünfmal so alt …« Er verstummte.
    Was wusste er eigentlich von Sabeth? Nicht mehr als den Namen und dass die weiße Katze ihr gefolgt war. Er hatte nichts in der Hand, gar nichts. Sie konnte sich längst an der Seuche infiziert haben oder war an Austrocknung oder Hunger gestorben. Vielleicht war sie sogar in den Rhein gestürzt, weil sie jegliche Orientierung verloren hatte.
    » Sechzehn Pfennig«, sagte der Bettler. » Weiter kann ich nicht runtergehen, das werdet Ihr doch verstehen! Es muss schließlich für uns beide reichen, und was glaubt Ihr, was für einen Hunger so ein Mädchen haben kann!«
    Sie war so ausgezehrt, dass ihr Gesicht einem winzigen Dreieck glich. Die Arme dünn wie Stecken, die Taille so schmal, dass zwei große Männerhände sie mühelos umspannen konnten.
    Vincent kramte nach einem Gulden, den er dem Mädchen fest in die Hand drückte. Er wusste, dass der Vater ihn ihr abknöpfen würde, sobald er ihnen den Rücken zugedreht hatte, aber er brachte es nicht über sich, sie ohne Verdienst stehen zu lassen.
    Ein feiner Regen setzte ein, der die letzten Bettler nach und nach vertrieb. Vincent hielt sich die Hand vor die Augen.
    Dort drüben, im Süden, erhob sich die erzbischöfliche Hacht, wo Johanna gefangen war, nicht mehr in der dunklen Kammer des Schreckens, aber doch in einem kalten, menschenfeindlichen Verlies.
    Er hatte zwei Kleider gekauft und den Bottich vom Dachboden geholt, als könnte er sich sicher sein, dass sie leben würde. Was aber, wenn der Plan misslang und der Grewe sich trotz aller Argumente uneinsichtig zeigte?
    Was er vorhatte, war höchst unsicher und gefährlich zugleich. Niemand konnte wissen, zu welchem Ergebnis es führen würde.
    Plötzlich fühlte Vincent sich so ausgehöhlt, dass es ihm unmöglich schien, weiter nach Sabeth zu suchen. Doch auch sein einsames, dunkles Haus, in dem nur trockenes Brot und ein paar alte Käsestücke auf ihn warteten, zog ihn nicht weiter an.
    Er bog in die nächste Gasse, bis er vor einer Schenke stehen blieb. Stimmengewirr und Lachen drangen bis auf die Straße, und auf einmal überfiel ihn die Sehnsucht, sich unter die Menschen zu mischen und nicht länger allein zu sein. Er zögerte, bevor er die Schwelle überschritt, weil er sich an das erinnerte, was er den anderen zu predigen pflegte, doch nun war ihm die Angst vor Ansteckung ganz egal. Trinken wollte er, essen, unter Menschen sein!
    Die Schenke war niedrig und vom Feuer rauchgeschwärzt. An einem Spieß briet ein knuspriges Ferkel, dessen leicht süßlicher Geruch ihm das Wasser im Mund zusammenlaufen ließ.
    Das Gelächter schwoll an, während er sich nach einem Platz an einem der Tische umsah. Er saß bereits, als er den wahren Grund für das Johlen und Grölen erkannte, das von einem hohen, jämmerlichen Wimmern übertönt wurde, das von einem Tier stammte.
    » Lasst das Vieh in Ruhe!«, rief Vincent und sprang auf. » Das könnt ihr doch nicht machen!«
    » Und ob wir das können! Wird lustig sein, dabei zuzusehen, wie sie schwarz wie die Hölle

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