Die Pestmagd
Sabeth. » Und stinkst zum Gotterbarmen!« Dann streckte sie ihre Hand aus und berührte Johannas Kopf. » Dein Zopf?«, fragte sie mit hoher Stimme. » Und das Band …«
» Brauch ich jetzt nicht mehr«, sagte Johanna. » Ich muss ins Pesthaus, hast du davon schon gehört?«
Die hellen Augen wurden trüb.
» Musst dich waschen.« Sabeth verfiel in ihren üblichen Singsang. » Waschen. Waschen. Waschen …« Sie tänzelte hinaus.
Johanna goss den Inhalt der Eimer in den Bottich. Vor der Tür standen vier weitere, gefüllt mit heißem Wasser, die sie dazufügte.
Dann zog sie sich das Kleid vom Leib und ließ sich in die lang entbehrte Wärme gleiten.
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Er hätte sie niemals beim Abtrocknen beobachten dürfen, fühlte sich elend dabei und widerwärtig – und doch musste er es tun.
Vincent presste das Auge enger an das Astloch.
Ihr Körper war knochig, hatte die lieblichen Rundungen der Jugendzeit verloren, die ihn damals halb um den Verstand gebracht hatten. Aber noch immer gehörte er jener Frau, die er mit Leib und Seele geliebt hatte.
Die langen, wohlgeformten Beine. Die schlanken Fesseln. Die schmalen Füße, kaum kleiner als die seinen – wie oft hatte er sie damit aufgezogen!
Das Haar floss nicht länger als goldener Schleier über ihren Rücken, doch nun, da die kurzen Strähnen vom Schmutz befreit waren, umschmeichelte es ihren Kopf wie ein glänzender Helm.
Als sie sich umdrehte und er die Brüste zu sehen bekam, musste Vincent sich abwenden. Rund und schön waren sie, fülliger als in seiner Erinnerung, mit rosigen Spitzen, die ihn erregten.
Erneut nahm er seinen verbotenen Posten wieder ein.
Als hätte sie etwas gespürt, zog Johanna sich das Tuch vor den Leib und ließ es nicht mehr los, bis sie aus dem Bottich gestiegen war.
Zu seinem Leidwesen bekam er nicht viel mehr zu sehen als ihr Gesäß, das noch immer so fest wirkte wie in jenem längst vergangenen Basler Sommer, der sein Leben verändert hatte.
Einen kurzen Moment noch schimmerte ihre Haut wie ein helles Perlenspiel. Dann verschwand sie unter dem Hemd. Schließlich im grauen Kleid, das ihr bis über die Knöchel reichte.
Sie schlüpfte in die Strümpfe, holte sich die Pantinen, die sie ihm hinterhergeworfen hatte, und zog sie an.
Unvermittelt riss Johanna die Tür auf. Gerade noch rechtzeitig war Vincent zurückgewichen.
» Ich bin so weit«, sagte sie. » Du kannst mich an der Pforte zur Hölle abliefern.«
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Dass er sich das Handgelenk verletzt hatte, schien Nele zu rühren. Plötzlich war ihre Scheu verschwunden und machte einer fast schon übertriebenen Fürsorglichkeit Platz, als sei er ein verwundetes Kitz.
» Wer hat dich so zugerichtet?«, fragte sie, beugte sich über ihn und musterte die enorme Schwellung.
» Sie waren viele – und ich nur einer«, sagte die Krähe knapp. Es wäre ihm lieber gewesen, er hätte sie mit anderem beeindrucken können. » Ich mag diese Feiglinge nicht, die sich zusammenscharen müssen, um sich stark zu fühlen.«
» Und ich mag es nicht, wenn jemand Freunde verrät.« Neles Stimme hatte auf einmal etwas Spitzes. » Mit solchen Menschen möchte ich nichts zu tun haben.«
» Freunde?«, sagte er gedehnt. Unter diesem Begriff vermochte er sich nichts Rechtes vorzustellen. Es gab Gefährten, mit denen man eine Zeit lang unterwegs war. Kumpane, mit denen man sich etwas teilte. Zechbrüder, die einem dabei halfen, die Unbilden des Lebens zu vergessen. Spießgesellen, wie jene Bande, mit der er sich gerade herumtrieb. Aber Freunde?
» Menschen, mit denen man gleiche Vorlieben teilt«, erklärte Nele. » Denen man vertrauen kann. Die einem helfen, wenn man in Not gerät. Die an das Gleiche glauben wie man selbst. Freunde eben. Ich werde denen nichts verraten, und wenn sie mich töten. Gar nichts!««
Sie hatte so leidenschaftlich, so überzeugt gesprochen, dass er sie überrascht musterte. Sie musste etwas erlebt haben, das ihm verborgen geblieben war. Aber hatte sie nicht auch eine Mutter gehabt, die sich bis zum Tod um sie gekümmert hatte, während seine ihn weggeworfen hatte wie hartes Brot, das man an die Schweine verfüttert?
Er bekam Lust, sie zu schütteln, damit sie endlich ihre Illusionen vergaß. Im nächsten Moment wollte er sie an sich reißen und ihren Mund mit wilden Küssen bedecken.
» Du bist noch ein Kind«, sagte er, stand auf und fing an, kleine Äste ins Feuer zu legen, damit es weiterbrannte. » Kinder reden so.«
» Ich bin kein Kind mehr, Jakob. Und das
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