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Die Pestmagd

Titel: Die Pestmagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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war, machte ihm zu schaffen. Schon eine ganze Weile war er zu abgelenkt gewesen, um der Predigt zu folgen, als die laute Stimme des Erzbischofs ihn plötzlich aus seinen Grübeleien riss.
    » Das Wort des Herrn – auf das Wort müssen wir uns berufen! Die Heilige Schrift ist die Quelle. In ihr steht geschrieben, was uns zum Heil führen kann. Wir sind abgewichen vom rechten Weg, dafür leiden und büßen wir. Einzig und allein die Gnade Gottes kann uns erretten.«
    Longolius hob die Hände, als wollte er im nächsten Augenblick Beifall klatschen. Neben einer Säule entdeckte Vincent den rundlichen Rektor der Kronenburse, der für Johanna gebürgt hatte. Hermann Weinsbergs Augen waren weit aufgerissen, und der Mund stand ihm offen, als könnte er nicht fassen, was er gerade vom geistlichen Stadtherrn Kölns zu hören bekam, während Kanzler vom Hagen finster dreinschaute. Seine Hände waren zu Fäusten geballt.
    Der Erzbischof war weit gegangen – sehr weit.
    Jeder, der ihm Böses wollte, konnte ihn nach diesen Worten als Anhänger Luthers diffamieren. Jeder, der nicht mit diesen Ketzerthesen in Verbindung gebracht werden wollte, musste sich eigentlich in Sicherheit bringen.
    Dieser Ansicht schien zumindest der Mann zu sein, der unweit des Kanzlers stand. Er war mittelgroß und leicht verfettet, er hatte einen genusssüchtigen Mund und die schweren Lider, die ein ausschweifendes Leben oftmals hinterließ. Sein Mantel war pelzverbrämt. Auch die Ärmel hatten breite, helle Pelzstulpen. Als er den Kopf zur Seite drehte, fiel Vincent die gekrümmte Nase auf – und eine geradezu verblüffende Ähnlichkeit mit dem Kanzler. Für dessen Sohn war er zu alt. Von einem Bruder hatte Bernhard vom Hagen jedoch niemals etwas erwähnt. Allerdings hatten sie bislang auch kaum Anlass gehabt, sich über persönliche Dinge auszutauschen.
    Der Mann hatte die Lippen so angeekelt verzogen, dass sein Gesicht einer Fratze glich. Er wartete nicht ab, bis die Messe vorüber war, sondern bahnte sich mit Remplern und Püffen zielstrebig seinen Weg durch die Menge, als sei das sein gutes Recht, bis er endlich das Portal erreicht hatte und nach draußen verschwand.
    x
    Als Nächstes würde der Erzbischof noch Bibeln in der Volkssprache drucken lassen und sie unter die Leute verteilen!
    Mit jedem Schritt wuchs die Wut in Rutger Neuhaus. Er wollte keine Stadt, in der die Ketzer regierten und alles karg sein würde, ohne die Pracht und Üppigkeit des gewohnten katholischen Gepränges. Wer sollte dann noch seine kostbaren Stoffe kaufen, seine ausgesuchten Weine trinken?
    Bernhard schien der gleichen Ansicht zu sein, auch wenn die Jahre am Hof ihn mehr Beherrschung gelehrt hatten. Doch niemals zuvor waren seine Lippen so schmal, war sein Blick so finster gewesen.
    Man musste dafür sorgen, dass all das ein möglichst rasches Ende nahm!
    Am besten wäre es gewesen, die Seuche direkt in das erzbischöfliche Palais zu tragen, doch Rutger wusste von seinem Halbbruder, wie gut bewacht die Tore waren. Bis er die passende Lösung gefunden hatte, würde er noch intensiver als bisher die Anhänger der Irrlehre aufs Korn nehmen – und jeden ausschalten lassen, der ihm dabei im Weg stand.
    Eine fette Ratte rannte quiekend dicht an ihm vorbei, und er wäre beinahe über sie gefallen. Rutger Neuhaus zog den pelzbesetzten Saum seines Mantels vor das Gesicht.
    Was war aus dieser stolzen Stadt geworden!
    Die Gassen starrten vor Dreck, der im Regen zu einem schleimigen dunklen Brei aufgequollen war. Bis zum Knöchel reichte er ihm beinahe; die schönen Stiefel aus Hirschleder, die er heute zum ersten Mal trug, waren bereits so versaut, dass kein Schrubben und Bürsten sie noch retten konnten. Es stank bestialisch nach Kloake und Urin, als wäre wochenlang kein Goldgräber mehr unterwegs gewesen. Sogar der Rhein schien sein übliches Blau verloren zu haben. Gräulich gurgelte er in seinem Bett, so ausladend und bedrohlich, dass das nächste Hochwasser nur noch eine Frage von Tagen schien. Die Lagerräume wären abermals gefährdet, die Brühe würde in die Keller dringen und sein Weib wieder so lange zetern, bis er es nicht mehr ertragen konnte.
    Es gab nur einen einzigen Ort in Köln, wo er all diese Unbilden vergessen konnte – zwischen Belas sahnigen Schenkeln.
    Als wären seine Füße klüger als er, hatten sie schon den Weg zum Berlich eingeschlagen. Doch das Hurenhaus erschien ihm im kalten Regen noch schäbiger als sonst, und als Conrat Wolter nach dem

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