Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Pestmagd

Titel: Die Pestmagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
Vom Netzwerk:
darben musste, braucht vielleicht länger dazu.«
    In ihre Augen kam ein wachsamer Ausdruck.
    » Muss ich dann vielleicht glauben, du hättest mich lediglich wegen meiner Mitgift genommen – und hängst heimlich noch immer an dieser Johanna, zu der du über Monate geschlichen bist?«
    Plötzlich war sein Gesicht wie eingefallen.
    » Weißt du, was ich manchmal mache, seit ich weiß, dass man sie verhaftet und eingesperrt hat?«, fuhr Ennelin fort, während sie die Hände schützend auf den Bauch legte, als sollten die Ungeborenen nicht hören, was jetzt kam. Die kräftigen Tritte gegen die Bauchwand waren seltener geworden. Manchmal überkam sie die schreckliche Angst, dass die Kinder nicht mehr lebten. Dann aber setzten die Bewegungen zum Glück wieder ein. Es wurde immer enger für die beiden, damit tröstete sie sich, um nicht den Mut zu verlieren. » Ich weiß, dass es nicht richtig ist, und schäme mich dafür, weil eine gute Christin dies niemals tun würde. Und trotzdem kann ich nicht anders – dem gütigen Gott dafür danken, dass sie bald sterben wird.«
    Wortlos wandte Ludwig sich ab und wollte hinaus. Ennelin bekam ihn gerade noch am Ärmel zu packen.
    » Sie wird doch bald sterben?«, fragte sie eindringlich.
    x
    » Gott zürnt uns, das zeigt Er uns mit jedem Tag. Die Karren schreien es uns zu, die die Leichen wegbringen, und die leeren Häuser mit dem Pestkreuz, die unsere Stadt verunstalten. Das große Sterben will kein Ende nehmen. Mütter und Kinder weinen und klagen. Wir müssen uns fragen, womit wir diesen Zorn des Herrn verdient haben, und was wir tun können, um Ihn wieder zu besänftigen.«
    Vincent starrte auf den Erzbischof in seinem blutroten Ornat, der in der dämmrigen Kirche wie eine Fackel leuchtete. Hermann von Wied machte wahr, was er so lange angekündigt hatte: seine Predigt, mit der er die Gläubigen Kölns aufrütteln wollte. Allerdings hielt er diese nicht im Dom, wohl um den Unwillen der Domherren nicht noch mehr zu reizen, die ihn beim Papst anschwärzen könnten, wie Bernhard vom Hagen befürchtete, sondern in St. Laurentius. Herumgesprochen hatte es sich dennoch. Die Kirche war brechend voll. Dicht gedrängt standen die Menschen und lauschten atemlos.
    Was für eine ausgezeichnete Gelegenheit für die Seuche, reiche Ernte zu halten!, dachte Vincent grimmig. Und du selbst kannst dich ebenfalls anstecken. Die Würde des Gotteshauses verbot Maske und Handschuhe, während er gleichzeitig als Leibarzt des Erzbischofs nicht fehlen durfte, sollte sich dessen Befinden aufgrund der ungewohnten Aufregung verschlechtern.
    Unwillkürlich rückte Vincent ein Stück von Longolius ab, der neben ihm stand und mit glänzenden Augen jedes Wort aufsaugte. Dessen Stern war im Begriff, beim Erzbischof glänzend aufzugehen, während sein eigener am Sinken war. Zwar schluckte der Erzbischof noch immer die Leberarzneien, die er ihm verordnet hatte, enthielt sich bestimmter Speisen und konnte sich daher einer spürbaren Verbesserung seiner Gesundheit erfreuen – doch von der Offenheit und Begeisterung, mit der er den neuen Medicus empfangen hatte, war kaum noch etwas übrig geblieben.
    Der Tag, an dem Vincent sich für das Gottesurteil eingesetzt hatte, um Johanna vor dem Galgen zu retten, hatte die Wende gebracht.
    Oder hatte der Erzbischof, der nur zögernd und nach langem Überlegen zugestimmt hatte, schon früher Vorbehalte gegen ihn entwickelt, die er aber noch für sich behalten hatte? Ein Gottesurteil gehörte der alten Zeit an, von der sich von Wied mit aller Macht absetzen wollte. Nur das Drängen des Grewen, der der Giftmörderin einen langen, möglichst grausamen Tod wünschte, hatte ihn schließlich zum Einlenken gebracht.
    Inzwischen war der Umgangston gegenüber Vincent knapp und äußerst verhalten, dicht vor der Feindseligkeit. Lag es daran, weil dieser sich niemals zu Konfessionsfragen äußerte, während Gisbert Longolius mehr oder minder unverblümt seine Sympathie für die protestantische Reform zum Ausdruck brachte? Oder war sein Konkurrent im Werben um die Gunst von Wieds noch weiter gegangen? Bislang hatte Vincent ihn nicht als großen Kenner der Seuche eingeschätzt. Was aber, wenn er ebenfalls wusste, dass Johanna gegen die Pest immun war, weil sie sich schon einmal mit ihr infiziert hatte?
    Der Kragen des neuen Rocks, in den Vincent sich heute für den Kirchgang gezwängt hatte, wurde ihm auf einmal zu eng. Und auch der Weihrauch, der vor der Predigt üppig gespendet worden

Weitere Kostenlose Bücher