Die Pestmagd
fehlschlagen, lag ihr Schicksal endgültig in Neuhaus’ Hand.
Während Christian, der für die Krähe einspringen musste, sich dem väterlichen Haus näherte, überfiel ihn eine seltsame Mischung aus altbekannter Beklommenheit und einem niemals zuvor empfundenen Gefühl von Genugtuung. Niemals war er mit ihm zufrieden gewesen, dieser weibergeile Vater, der den frühen Tod der Mutter zum Anlass genommen hatte, sich nach Herzenslust mit anderen Frauen zu vergnügen. Ob blond, ob braun, ob hässlich oder schön – jede, die seine Badestube betrat, war ihm wichtiger und wertvoller gewesen als der eigene Sohn, der sich angesichts der ungenierten Balzerei bald nur noch als lästiger Störenfried empfunden hatte.
Aus diesem Grund hatte er auch die ersten kleinen Diebstähle begangen, wertloses Zeug an sich genommen, das er eigentlich gar nicht brauchte. Nur um zu spüren, dass auch er Mut und Geschicklichkeit besaß, ganz und gar nicht der Tölpel war, als den der Bader ihn so gern vor anderen hinstellte.
Irgendwann war er dann Ruch begegnet, dem Hünen mit dem blinden Auge, der ihn regelrecht in die Lehre genommen und ihm beigebracht hatte, was ein Dieb und Räuber wissen musste. Christian blieb immer öfter von zu Hause weg, was der Vater anfangs mit Prügeln ahndete, sobald er ihn zu greifen bekam. Bis Christian schließlich zurückschlug, so hart, dass Ludwig Weißenburgs Lippe aufplatzte und er tagelang ein dickes Veilchen mit sich herumtragen musste. An jenem Tag war Christian auch auf den Luchs gestoßen, dessen Krallen ihm ins Gesicht gefahren waren, als er versucht hatte, ihn zu töten.
Die Narben trug er seitdem wie seinen kostbarsten Schmuck. Sie waren zu seinem Zeichen geworden, das inzwischen viele Türen zierte, aus denen der Tod in die Stadt sickerte. Wenn er die Furchen am Türrahmen hinterließ, fühlte er sich unbesiegbar. Früher hatte er vor den Leuten gezittert. Jetzt waren sie es, die ihn zu fürchten hatten.
Als der Bader ihm später zufällig auf dem Markt begegnet war, wich er zurück, als sei ihm ein böser Geist erschienen. Sein Sohn war tot, das wusste inzwischen die ganze Stadt. Mit Macht wollte er ungeschehen machen, was einst gewesen war. Alles hatte er auf Anfang gesetzt, die Hochzeit und das neue Kind, das seine blutjunge Frau ihm bald gebären sollte.
Doch Kinder konnten sterben. Und Frauen ebenso.
» Fahr zur Hölle, Vater!«, murmelte Christian. » Mein Zeichen wird dir den Weg weisen.«
Der Todesbote beschleunigte seine Schritte und lächelte.
x
Von Tag zu Tag wurde die Schwangerschaft nun beschwerlicher, und doch hatte Ennelin es fertiggebracht, sich gegen Ludwig durchzusetzen. Inzwischen konnte sie Köln nicht mehr verlassen, wie er es seit Wochen vergeblich gefordert hatte, weil ihr Bauch so groß und prall wie eine Frucht kurz vor dem Platzen war.
Seine Furcht vor einer verfrühten Geburt hätte beinahe auch sie angesteckt, doch wenn die Angst sie zu überkommen drohte, zog sie rasch das kleine Bild mit dem heiligen Sebastian heraus, das sie der Heilerin in der Schwalbengasse abgekauft hatte, zu der die halbe Stadt pilgerte.
» Leben werdet ihr, leben!«, flüsterte sie den Ungeborenen zu. » Und eure Eltern mit euch!«
Es erleichterte sie, dass Ludwig seltener nach dem Pesthaus sah und das meiste einem Knecht überließ. Am liebsten wäre es ihr gewesen, wenn er jene verseuchte Stätte überhaupt nicht mehr betreten hätte – aber wie wäre das möglich gewesen, da sie sie doch ernährte?
Seit die Einnahmen aus dem Badebetrieb versiegt waren, musste sie zum ersten Mal in ihrer Ehe sparen. Ihre stolze Mitgift war gänzlich in den Ausbau des Pesthauses geflossen. Damals war Ennelin dies richtig erschienen, weil Ludwig ihr mit glühenden Wangen vorgerechnet hatte, wie diese Investition sie unabhängig und reich machen könnte. Mittlerweile hatte sie gelernt, dass das Haus zur roten Pforte ein reiner Zuschussbetrieb war, der gierig jede Silbermünze wieder auffraß, die er gerade abgeworfen hatte. Natürlich hätte Ennelin zu ihrem Vater gehen und ihn um Geld bitten können, doch dazu war sie zu stolz.
Dem Apotheker ging es ohnehin nicht gut. Er fieberte, war matt und klagte über schreckliche Gliederschmerzen. Voller Sorge kam die Mutter zum Baderhaus gelaufen, um der Tochter ihr Herz auszuschütten, bar jeder Bissigkeit, die sie sonst so gern an den Tag legte.
Ennelin hatte sie beruhigt und getröstet, und doch wollten die bösen Gedanken, die sie kurz gestreift
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