Die Pestmagd
zuzustechen.
Neuhaus jedoch hinderte ihn daran. Mit eisenhartem Griff hielt er Jakobs Arm umklammert, schnitt so die Blutzufuhr ab, bis die Hand kraftlos hinuntersank und das Messer freigab. Dann wälzte er sich auf Jakob.
» Macht doch Spaß, unter mir zu liegen«, keuchte er, während seine Hände an Jakobs Gurgel fuhren und zudrückten. » Das hat Bela auch immer gefallen. Wenn ich hier mit dir fertig bin, wird sie wieder angekrochen kommen. Und was meinst du, was ich dann mit ihr mache?«
Hinter Jakobs Augen wuchs eine grellrote Flamme. Seine Beine begannen zu zucken. Er spürte, wie es unter ihm nass wurde.
Sein Hals steckte in einer Zwinge, die sich immer enger zuzog. Mein Band aus Eisen, dachte er.
Dann zerstoben alle Gedanken.
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» Ich hab ihn umgebracht, Jakob. Er ist tot.« Zögernd nur, wie Nebelfinger, drangen diese Worte zu ihm.
Er röchelte, fasste sich an den Hals, spuckte. Die Eisenzwinge war verschwunden. Doch noch immer konnte er spüren, wo und wie sie ihn umklammert hatte.
» Hörst du mich?« Es klang wie Weinen. » Ich dachte, er tötet dich. Da hab ich dein Messer genommen und es ihm in den Rücken gestoßen, wieder und immer wieder. Bis er grunzend von dir abgefallen ist.«
» Nele?«, sagte er, während er sich mühsam aufrichtete.
» Ich war es, Jakob. Ich hab ihn umgebracht. Obwohl Gott doch verboten hat, Menschen zu töten.«
Neben ihm lag Neuhaus, regungslos. Sein blaues Wams hatte mehrere Einstiche, aus denen Blut gelaufen war.
» Du warst das?«, fragte er verblüfft.
» Mit deinem Messer«, bekräftigte sie. » Aber das hab ich dir doch schon gesagt. Hier. Steck es wieder ein! Ich will es nicht mehr sehen.«
Jakob gehorchte, erst nach und nach war er wieder in der Lage, seine Gedanken zu ordnen.
» Und deine Wunde?«, sagte er.
» Halb so schlimm«, versicherte sie. » Es beginnt schon zu verkrusten.«
» Aber er hat dich mit dem Hemd dort berührt …« Inzwischen war die Erinnerung zurückgekehrt.
» Und wenn schon!« Sie versuchte ein Lächeln. » Und das ganze seltsame Zeug, das er gefaselt hat. Aber ich bin nicht schwach geworden. Ich habe keinen verraten.« Dann wurde ihre Stimme zu einem Wispern: » Muss ich jetzt in die Hölle, weil ich ihn erstochen habe? Das ist doch eine Todsünde …«
Ihm brach schier das Herz, als er nach einer Antwort suchte.
» Ist es nicht«, sagte er. » Das war Notwehr, Nele, blanke Notwehr. Er hätte uns beide getötet, mich und dich, wenn du ihm nicht zuvorgekommen wärst. Und er wird dich vielleicht noch …« Er hielt inne.
» Was hast du denn, Jakob?«, fragte sie besorgt. » Du siehst auf einmal ganz elend aus.«
Schweigend starrte er sie an. Wie sollte er ihr sagen, dass das Hemd den Tod in sich trug?
Dass er es eigenhändig aus dem Pesthaus gestohlen hatte?
Dass er inzwischen durchschaute, was ihren Glaubensgenossen drohte?
Der, der diesen teuflischen Plan ersonnen hatte, konnte ihn nicht weiterspinnen, dafür hatte Nele gesorgt. Wenn Jakob einmal in seinem Leben an himmlische Gerechtigkeit geglaubt hatte, dann in diesem Augenblick.
Doch was war mit ihr? Musste sie für ihren Mut, ihre Entschlossenheit nun mit dem Leben bezahlen?
Er liebte sie, das begriff er, als er sie in ihrem blutbespritzten Hemd und den aufgelösten Haaren vor sich sitzen sah. Mehr als alles auf der Welt. Nie mehr wollte er sie verlieren.
» Steh auf!«, sagte er. » Wir müssen weg!«
Doch das Hochkommen fiel ihm mehr als schwer, und Nele taumelte noch stärker als er. Dennoch gelangen ihnen ein paar wacklige Schritte in Richtung Tür.
» Nicht ganz so hastig!«, sagte Christian, der plötzlich den Ausgang versperrte. » Ich wollte nach euch sehen …«
Nele gab einen kleinen erschrockenen Laut von sich.
Jetzt erst entdeckte Christian die reglose Gestalt auf dem Boden.
» Aber das ist ja Neuhaus«, sagte er und kam näher. » Was habt ihr getan? Ihr habt ihn doch nicht etwa …« Er beugte sich zu dem Toten hinunter.
Im Bruchteil eines Augenblicks musste Jakob sich entscheiden.
Nele zurücklassen – unmöglich! Doch wenn er bei ihr blieb, wären sie beide Gefangene, der Willkür der Bande auf Gedeih und Verderb ausgesetzt.
Ihr Schrei brachte die Entscheidung.
» Lauf, Jakob, lauf!« Noch nie hatte ihre Stimme so schrill geklungen. » Du hast doch nichts getan …«
Jakob warf ihr einen letzten verzweifelten Blick zu. Dann spannte er jeden Muskel seines Körpers an – und rannte.
Seine Lungenflügel brannten, als die kalte Luft
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