Die Pestmagd
als verbrannte Felder und braune Wälder. Sogar die Trauben am Stock sehen ganz verhutzelt aus. Und so viele verendete Tiere, die ich unterwegs gesehen habe! Da wird es den Menschen schon bald nicht viel besser ergehen. Es sei denn …« Ihr Gesicht verzog sich listig. » … sie vertrauen sich Itas magischen Elixieren, ihren unübertroffenen Tinkturen und geheimen Kräutermischungen an.«
» Das also ist Euer Geschäft?« Vincent klang ungerührt.
» Wie Ihr das sagt – als ob es nichts wäre!«, fuhr sie auf. » Es ist eine Gabe, die ich besitze. Habt Ihr denn eine Vorstellung, wie viele Verzweifelte ich schon vor dem sicheren Tod gerettet habe? Hundert und mehr Hände würden nicht ausreichen, um sie alle aufzuzählen.«
Ihre hochtrabenden Worte langweilten Vincent, und er war erleichtert, dass die Fähre anlegte und sie endlich einsteigen konnten. Wie vielen solcher Scharlatane war er auf seinen Reisen schon begegnet? Kläglichen, gescheiterten Existenzen, die sich vollmundig rühmten, heilen zu können, und doch nur von der Angst der Menschen lebten.
Aber war er selbst denn etwas viel Besseres als sie?
Er durfte sich Medicus nennen, hatte in Gent, Basel und Lyon studiert und seitdem über viele Jahre praktische Erfahrungen im Umgang mit Kranken erworben. Doch was wusste seine Zunft wirklich? Die meisten Vorgänge im menschlichen Körper waren ihren Mitgliedern noch immer ein Geheimnis. Sie waren Suchende, keine Wissenden, durften allenfalls winzige Erfahrungsinseln in einem Meer voller ungelöster Rätsel für sich beanspruchen. Sie konnten Knochen schienen und einfache Krankheiten kurieren. Doch schon Halsbräune, Lungenkrankheiten oder gar Blutvergiftung bedeuteten sehr rasch das Ende ihrer Weisheit, von Epidemien oder gar Seuchen, wie er sie immer wieder erlebt hatte, ganz zu schweigen. Vincent de Vries hatte lernen müssen, bescheiden zu werden. Doch seine Neugierde, mehr, ja alles zu erfahren, brannte noch ebenso stark wie in Jugendtagen.
Der Esel schien dank des ausgiebigen Saufens neue Kräfte bekommen zu haben und begann trotz seiner Last die Stute zu bedrängen, was Vincent zum Lächeln brachte. Trotzdem scheuchte er ihn beiseite, weil er in seinem neuen Zuhause kein Maultierfohlen aufziehen wollte.
» Sie verstehen sich, die beiden.« Itas Stimme klang anzüglich. » So und nicht anders ist es auch bei den Menschen. Das Fleischliche ist nun einmal der stärkste Trieb. Auch wenn er uns ins tiefste Verderben stürzt. Wir können einfach nicht davon lassen.« Sie hob den Arm, als wolle sie Vincent berühren.
Ihre Augen hatten auf einmal einen seltsamen Glanz. Und ging von ihr nicht ein schweflig-süßlicher Geruch aus, der ihn an schlimme Erlebnisse erinnerte, die er am liebsten für immer vergessen hätte?
Plötzlich wollte Vincent nur noch weg.
Kaum hatte die Fähre das rechte Rheinufer erreicht, trieb er die Stute herunter und hob die Hand zu einem flüchtigen Gruß. Dann saß er auf und gab dem Pferd die Sporen.
» Ich weiß ja noch nicht einmal Euren Namen«, rief Ita ihm hinterher. » Wollt Ihr ihn mir nicht zum Abschied verraten? Wir sehen uns doch bestimmt einmal wieder in dieser schönen, reichen Stadt!«
Doch Vincent ritt unbeirrt weiter, ohne sich noch einmal nach ihr umzudrehen.
x
Der Visierer, den die Weinschule ihr geschickt hatte, war überraschend jung, aber offenbar immun gegen weibliche Reize. Das hatte Johanna schon nach wenigen Augenblicken herausgefunden. Alles Lächeln und Kokettieren ihrerseits ließen ihn unberührt. Nicht einmal das blaue Kleid, das ihr so gut stand, schien ihn zu beeindrucken. Ob er womöglich Männern zugetan war, eine Schwäche, die als Sünde und Verbrechen gebrandmarkt wurde und doch in Köln im Verborgenen blühte?
Bei näherer Betrachtung fand sie ihn recht hässlich. Seine hellen Augen lagen tief in einem feisten, aufgeschwemmten Gesicht, und ein stattlicher Bauch, der eher einem Sechzigjährigen angestanden hätte, wölbte sich unter seinem Wams.
» Ihr führt jetzt also diesen Weinhandel nach dem Ableben Eures Mannes?«, fragte er mindestens zum dritten Mal, während er schwerfällig von Fass zu Fass watschelte. Er hieß Melchior Strosch, ein Name, der ebenso wenig ansprechend war wie seine Erscheinung.
» Das tue ich«, wiederholte sie geduldig. » Alles ist genau so, wie Severin es eingerichtet hat. Mein Mann war ein berühmter Glasmaler, müsst Ihr wissen …«
» Und was ist das?«, unterbrach Strosch sie grob.
» Eine
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