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Die Pestmagd

Titel: Die Pestmagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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absichtlich hinterlassen. Und noch andere verbrecherische Fertigkeiten hatte er erlernt, mit denen sich das Leben erträglicher machen ließ, anstatt es mit Arbeit zu verderben: Falschspielerei, Diebstahl, Raub, wenn es denn sein musste. Nicht einmal vor Hostienschändung war er zurückgeschreckt.
    Sein Aussehen kam ihm dabei zu Hilfe. Er war groß und dunkel, hatte geschmeidige Glieder und einen hungrigen roten Mund, den Mädchen und junge Frauen begierig anstarrten. Die markante Nase ließ ihn wie einen Edelmann erscheinen. Allerdings sang in seinen Augen eine gefährliche Wut, die sie eisgrün wie einen Wildbach nach der Schneeschmelze machten. Und dann gab es da ja auch jene Narben auf seiner Brust. Sie hatten ihm seinen Spitznamen eingetragen, den er normalerweise nur preisgab, wenn er jemanden zu Tode erschrecken wollte.
    Keine von ihnen ahnte, wie einsam er war.
    Ob er eine in irgendeiner Scheune nahm oder seine Heller im Frauenhaus ließ, immer umgab ihn Einsamkeit wie ein dichter Kokon, durch den niemand gelangte.
    Einmal nur war es anders gewesen, ganz am Anfang seiner Suche, in Freiburg, wo er einer Bäckerstochter begegnet war, deren Vater etwas wusste, was ihm weiterhelfen konnte. Die blonde Schelke mit ihren blitzeblauen Augen hatte ihn geneckt und gekitzelt, sich schließlich von ihm küssen lassen und wäre womöglich sogar bereit gewesen, ihn heimlich in ihre Kammer zu schleusen.
    Er aber hatte sie warten lassen und es sich stattdessen im Heu bequem gemacht.
    Er suchte eine andere Frau. In der Nacht träumte er von ihr, spürte, wie sie ihn in die Arme schloss, lachend, warm und duftend, und im Morgengrauen fuhr er aus dem Schlaf hoch, während sein Traum verblasste. Für ein paar Augenblicke war alles wieder wie früher gewesen. Geborgen hatte er sich gefühlt, sicher und geliebt – bis erneut ätzend der Zorn in ihm emporschoss.
    Wie hatte sie ihn verlassen können, einem Dasein ausliefern, so unwürdig und kläglich, dass er zweimal versucht hatte, ihm ein Ende zu setzen?
    Seitdem war er auf der Pirsch, ein Jäger, der die Fährte des Wildes immer wieder verlor, bis starke neue Duftnoten ihn abermals auf die richtige Spur brachten. Der große Fluss, an dem er entlangzog, war seine Lebensader, so kam es ihm jedenfalls inzwischen vor. Er trieb ihn voran, schenkte ihm Nahrung und Schutz , so lange, bis er das Ziel erreicht haben würde – und wenn ihn sein Weg bis an die Mündung führen würde.
    Die Städte und Orte, die er durchquerte, bedeuteten ihm nichts; ebenso wenig wie die Menschen, die sie bewohnten. Gaben sie ihm freiwillig, was er brauchte, ließ er sie in Frieden; verweigerten sie jedoch, was er verlangte, hatten sie die Folgen zu tragen.
    Er hasste sie für ihre Häuser und Felder, für die kleinen Gärten, in denen sie Gemüse zogen, für ihre Kinder, die vergnügt vor der Tür spielten. Am liebsten hätte er ihnen ein großes Feuer geschickt, damit auch sie die Qualen spürten, die ihn von innen her zerfraßen. Manchmal zündete er eine Scheune an, um sich Erleichterung zu verschaffen, und auch eine Hütte am Waldrand mit einer quengeligen Alten, die ihm die falschen Fragen stellte, hatte schon daran glauben müssen.
    Doch hier, in Andernach, war alles anders.
    Eine dunkle Wolke schien über dem Ort zu hängen. Es stank nach Eiter und Fäulnis, und einige der Karren, die ihm im Schutz der Nacht begegneten, waren voller Leichen.
    Keiner sprach das Wort aus, doch er wusste auch so, woran er war. Das große Sterben – es hatte ihn schon einmal gestreift, aber er hatte überlebt.
    Doch zu welchem Preis?
    Damals war sein Leben ins Schlingern gekommen. Damals hatte er alles verloren, was es lebenswert gemacht hatte.
    Die Schuldige würde dafür bezahlen, das war es, was ihn vorantrieb. Er würde sie finden.
    Er würde sie töten.

DREI
    S abeths Haarknoten hatte sich in feine Silbersträhnen aufgelöst, die über ihren Rücken flossen, so energisch traktierte sie mit der Bürste den Kupferkessel, der zwischen ihren Beinen klemmte. Tief in sich versunken summte sie vor sich hin. Für einen Augenblick genoss Johanna diesen Anblick, der sie an glückliche Tage erinnerte. So war die alte Dienerin früher stets gewesen: gut gelaunt, voller Lebenskraft, unermüdlich bei der Arbeit. Dann jedoch fiel Johannas Blick auf den bauchigen Tontopf, der neben Sabeth stand, und sie erstarrte.
    » Was tust du da?« Mit einem Satz war sie bei ihr, riss den Topf in die Höhe und schnupperte daran. » Woher

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