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Die Pestmagd

Titel: Die Pestmagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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lass uns einen trinken, bevor wir bis auf die Haut durchnässt sind!«
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    Vincent de Vries legte seine Pestmaske an – und alles Raunen und Murmeln unter den Studenten erstarb. Sie befanden sich im sogenannten Saal der Artistenfakultät, wo die angehenden Mediziner zu Gast sein durften, ein Raum, so niedrig und eng, dass die Luft zum Schneiden war.
    Wieso war er überhaupt hier?
    Nur sein Pflichtbewusstsein hielt ihn noch an Ort und Stelle. Ein Schreiben des Erzbischofs hatte ihn in den Frankenturm beordert. Endlich, endlich würde er Johanna sehen können!
    » Ich sollte heute zu euch über Anatomie oder die Säftelehre Galens sprechen.« Seine Stimme klang dumpf durch die Schichten von Papier und Leder. » Denn das steht notgedrungen am Anfang jedes medizinischen Wissens.«
    Er bückte sich, zog einen beinernen Schädel aus der Kiste und legte ihn vor sich auf den Tisch.
    » Doch es gibt etwas, das jeder Theorie den Garaus bereitet: jene furchtbare Seuche, die man die Pest nennt. Sie bringt den Menschen in Köln den Tod, und wenn wir gegen sie angehen wollen, so müssen wir ein paar wichtige Grundregeln einhalten. Falls es Fragen dazu gibt – geniert euch nicht!«
    Alle Gesichter waren ihm zugewandt. Rund drei Dutzend Augenpaare starrten ihn an.
    Wie jung sie waren! Die Züge glatt und blank, der Ausdruck so naiv. War er selbst jemals so jung gewesen?
    Vincent nahm die ledernen Handschuhe aus der Tasche und streifte sie über.
    » Wir wissen noch nicht, wie die Pest sich verbreitet«, fuhr er fort. » Doch große Menschenansammlungen scheinen die Seuche zu begünstigen. Meidet sie also nach Möglichkeit!«
    » Muss ich künftig auf der Straße die Seite wechseln, wenn mir Leute entgegenkommen?«, fragte ein hagerer Rotkopf.
    » Solange du sie nicht berührst, kannst du bleiben, wo du bist«, erwiderte Vincent. » Es sei denn, du hörst einen schon von Weitem bellend husten. Dann solltest du allerdings sofort kehrtmachen und weglaufen, so schnell du kannst. Denn diese Art der Pest dauert höchstens drei Tage und führt stets zum Tod.« Er hob seine Hände. » Handschuhe sind nur ein unzureichender Schutz, und doch besser als gar keiner, wenn ihr mit Pestkranken in Berührung kommt. Esst nicht von deren Tellern, trinkt nicht aus ihren Bechern! Spart nicht am Leinen, falls ihr Verbände zu wechseln habt! Hebt nichts davon auf, um es zu waschen und später erneut zu verwenden! Verbrennt alles! Was im Feuer aufgeht, kann niemandem mehr schaden.«
    » Was, wenn ich meine Mutter oder meinen Vater pflegen muss?« Der Fragende hatte dicke braune Locken und eine helle Stimme. » Ich kann sie doch nicht ihrem Schicksal überlassen!«
    » Das sollst du auch nicht«, rief Vincent. » Die Kranken brauchen Fürsorge. Achtet darauf, dass sie viel trinken und regelmäßig essen, leichte Speisen wie Hühnersuppe oder gekochten Fisch! Unterhaltet sie, solange sie bei Bewusstsein sind! Redet, singt oder betet mit ihnen! Das wird sie ablenken.«
    » Woran erkennt man, dass es die Pest ist?«, lautete die nächste Frage.
    » Der Kranke wird schwach und fiebert stark. Am Hals, unter den Armen und an den Leisten bilden sich Beulen, auch Bubonen genannt, die immer stärker anschwellen. Oftmals färben sie sich dunkel, werden groß und steinhart, bis der Kranke stirbt. Daher rührt auch der Name Schwarzer Tod.«
    » So ist jeder hoffnungslos verloren, an dem sich diese Beulen zeigen?« Der Rotschopf meldete sich erneut zu Wort.
    Vincent nahm seine Maske ab.
    » Viele sind es – allzu viele. Die inneren Organe der Befallenen sind wie vergiftet, bis sie schließlich gänzlich versagen. Doch manchmal brechen die Beulen auch auf, dann kann der Kranke sich erholen und wieder genesen.« Er zückte das Sichelmesser, das er erst gestern in der Schmiede abgeholt hatte. Bei Weitem nicht von der Qualität des gestohlenen, aber doch halbwegs brauchbar. » Man kann diesen Vorgang auch einleiten, doch dazu bedarf es großer Erfahrung. Was noch dazu nötig ist: eine scharfe Klinge, ein sicheres Auge, eine ruhige Hand. Schneidet man allerdings zu früh oder kommt man dabei zu tief, ist der Tod des Patienten gewiss.«
    » Meine Großmutter hat die Pest vor vielen Jahren überlebt«, rief ein rundlicher Blonder. » Damals war sie noch ein Mädchen. Ihre Beulen brachen auf. Sie sagt, der heilige Sebastian habe sie gerettet. Nun sei sie für immer gegen die Krankheit gefeit.«
    » Deine Großmutter mag recht haben«, sagte Vincent. » Auch mir sind schon

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