Die Pestmagd
mehr. Stunden, ja ganze Tage könnte ich weiterreden. Am wirksamsten sind jedoch meine Spezialamulette, im ganzen Reich von Nord bis Süd in höchsten Tönen gepriesen. Seht ihr dieses Säckchen aus rotem Samt? Es enthält die Mischung, die Leben bewahrt. Wer es um den Hals trägt, der kann sich nicht anstecken …«
Er rannte hinaus, holte vor der Tür des Frauenhauses tief Luft.
Das marktschreierische Gelaber dieser Gescheckten hätte er keinen Augenblick länger ertragen. Außerdem trieb es ihn zurück zum Melatenhaus. Nele hatte er seit gestern Abend nicht mehr gesehen. Die Angst, dass sie doch noch erkranken könnte, obwohl es von Tag zu Tag immer unwahrscheinlicher wurde, ließ ihn nicht los.
Noch immer redete sie nicht mit ihm.
Doch wie sie ihn ansah … Nie zuvor hatte er die ganze Welt in einem einzigen Blick liegen sehen.
Bevor er allerdings zurückkehren konnte, hatte er noch weitere Badestuben abzuklappern, wie er es nun jeden Abend tat. Sie schlossen eine nach der anderen, das machte seine Suche nicht gerade einfacher.
Dass er die Gesuchte nicht im Haus am Berlich vorgefunden hatte, wie zunächst von ihm befürchtet, hatte ihn seltsamerweise beruhigt. Doch mit irgendetwas musste sie ihren Lebensunterhalt ja bestreiten. Bislang allerdings hatte er kein Glück gehabt. Wo immer er ihren Namen vorbrachte – niemand schien sie zu kennen. Diese Stadt war so groß und damit so unübersichtlich, dass ihm manchmal bang zumute wurde.
Das war wirklich etwas anderes als die Käffer, durch die er seit Kindesbeinen mit dem Alten gezogen war! Andererseits musste, wer hier seit Jahren lebte, gewisse Spuren hinterlassen haben. An diese dürre Hoffnung klammerte er sich, wenn er mutlos zu werden drohte.
Und wenn sie längst tot und begraben war?
Die Flamme der Wut, die er wie seinen kostbarsten Schatz hütete, seit er sich erinnern konnte, begann auf einmal bedrohlich zu flackern.
Das konnte, das durfte nicht sein!
Sie musste leben – um durch seine Hände den Tod zu finden.
x
» Der Herr hat diese Stadt verflucht.« Angesichts der jüngsten Schreckensmeldungen schien Hermann von Wied noch tiefer in seinem Sessel zu versinken. Die Zeit der blauen Stunde war angebrochen. Schatten krochen in die Winkel seines Gemachs und machten alte Ängste wieder lebendig. Seine langen, dünnen Finger zitterten leicht. » Wir dürfen nicht länger untätig zusehen – was uns gerade widerfährt, erfordert Konsequenzen!«
» Der Magistrat hat damit längst begonnen«, erwiderte Bernhard vom Hagen. » Die Brunnen werden nachts bewacht, die Badehäuser sind so gut wie alle geschlossen. Rattenfänger durchpflügen die Gassen. In den Spitälern werden zusätzliche Pritschen aufgestellt. Ein neues Pesthaus hat jüngst eröffnet. Falls die Friedhöfe nicht mehr ausreichen, werden wir …«
» Versteht Ihr denn nicht?«, unterbrach ihn der Erzbischof. » Ich rede nicht von den Angelegenheiten des Körpers. Unsere geliebte Mutter Kirche ist krank an Haupt und Gliedern. Dafür straft uns Gott. Weil wir mutlos am Alten festhalten, anstatt Neues zu wagen.«
» Die Menschen hängen an dem, was sie kennen – ihren Heiligen, die ihnen Trost spenden. Den Reliquien, zu denen sie beten. Dem Opferstock, in den sie ihre Gaben stecken. Gerade in schweren Zeiten wie dieser bedürfen sie dieses Trostes.«
» Und wenn sie irren? Wenn wir alle irren?«
» Habt Ihr Euch nicht noch vor Kurzem energisch für Bittgottesdienste und Prozessionen ausgesprochen?«, fragte der Kanzler.
» Das habe ich. Aber es war ein Fehler. Das weiß ich inzwischen. Unser aller Leben liegt in Gottes Hand – sola gratia. Allein Seine Gnade kann uns erretten! Und hier in Köln denken längst viele wie ich.«
Er führte tatsächlich ungeniert im Mund, was die Lutheraner zu ihrem obersten Dogma erhoben hatten! Es gab eine Gruppe von Verirrten in der Stadt, die vom rechten Glauben abgefallen waren, gar nicht so wenige, wenn man den Spitzeln glauben durfte, die nachts die Gassen durchstreiften, um Verdächtiges aufzuspüren. Bestellt und bezahlt vom Domkapitel, das ohnehin an der Befähigung des Erzbischofs zweifelte. Wenn diese Herren, die schon jetzt an seiner Befähigung zweifelten, nun auch noch solche Worte zu hören bekämen, wären auch seine letzten Befürworter verloren. Gar nicht daran zu denken, was der Kaiser unternehmen würde, damit Köln nicht an die Protestanten fiel.
Der Kanzler rang um die richtigen Argumente.
» Höre ich da noch den aufrechten
Weitere Kostenlose Bücher