Die Pestspur
abzulenken, gelang ihm allerdings nicht. »Das Leben muss dennoch weitergehen«, beschwor sie ihr Mann, der alles tat, seine verzweifelte Frau auf andere Gedanken zu bringen: »Komm, Gunda«, sagte er und legte ihr aufmunternd einen Arm auf die Schulter. »Auch wir müssen der drohenden Seuche entgegentreten. Hilf mir bitte, unser Haus pestsicher zu machen. Während ich die Ritzen zwischen den Balken der Außenwände zustopfe, könntest du zusammen mit Otward die Räume von oben bis unten mit Essigwasser reinigen und danach sämtliche Kammern ausräuchern.« Auch wenn es nicht gegen die Pest helfen sollte, so ist sie wenigstens beschäftigt und etwas abgelenkt, dachte er sich.
*
»Wenn du jetzt nicht unverzüglich an deine Arbeit gehst, lernst du mich richtig kennen!«, schrie der Totengräber so laut, dass man es draußen hätte hören können, wenn jemand zufällig am Haus vorbeigegangen wäre. Er hatte den Medicus so lange bekniet, bis dieser murrend zusagte, damit zu beginnen, die Pflanzen, Wurzeln, Knollen, Blätter und Beeren für die benötigten Mischungen zu sortieren und zu wirksamen Drogen zu verarbeiten. Dem Arzt steckte der Überfall immer noch in den Gliedern. Erst als ihm der Totengräber eine Gallone Schnaps versprach, rappelte er sich auf und machte sich an die Arbeit. Allerdings stellte er fest, dass er tatsächlich noch etwas schwach auf den Beinen war. Aus Furcht vor den Flüchen des Totengräbers bemühte er sich dennoch, seinen Auftrag vereinbarungsgemäß anzugehen.
Um sicherzugehen, dass der Medicus vorankommen würde, hatte sich der Totengräber vorgenommen, in unregelmäßigen Abständen überraschend im Behandlungsraum des Arztes aufzutauchen. Wie schon bei seinem ersten Besuch wollte er auch heute nicht gesehen werden und war deshalb äußerst vorsichtig. Da sich der Arbeitsplatz des Arztes schon lange nicht mehr im Spital, sondern im Propsteigebäude befand, wollte der Totengräber nicht Gefahr laufen, Propst Glatt zu begegnen.
»Und … wie sieht’s aus?«, fragte er den Medicus, nachdem er die schwere Tür leise hinter sich geschlossen hatte, und rieb sich im Hinblick auf den zu erwartenden Profit gierig die Hände.
»Anstatt saudumme Fragen zu stellen, kannst du mir helfen und den Inhalt des Sackes auf den Tisch schütten, damit ich die Blätter zum Trocknen ausbreiten kann.«
Da die Pflanzen zwischenzeitlich ausgetrocknet waren, hatte sich dieser Teil der Arbeit bereits von selbst erledigt. Als der Totengräber den Sack ausschüttelte, staubte es so, dass sich die beiden Nase und Mund zuhalten mussten. Aus dem vertrockneten Kräuterhaufen schien jegliches Leben gewichen zu sein. Das ehedem saftige Grün war einer fahlen Blässe gewichen, aus der nur die roten Hagebutten – feurigen Augen von Kreaturen der Unterwelt gleich – bedrohlich wirkend hervorstachen.
»Ich wollte die Kräuter sowieso trocknen. Kräutersud ist leichter herzustellen und zu verabreichen als Pillen. Damit kommt der Pöbel besser klar«, bemerkte der Medicus, der sofort mit dem Sortieren des Durcheinanders begann.
»Gut! Dann haben wir wenigstens diese Zeit gewonnen«, stellte der Totengräber zufrieden fest. »Ich gehe jetzt durchs Dorf, um die Glut des Pestgerüchtes weiter zu schüren.«
»Tu das, Hereusis«, lachte der Medicus.
»Was? – Wie nennst du mich?«, wollte der einen Moment lang dumm drein schauende Totengräber wissen.
»Na ja: Du hast doch den Gedanken für unsere kleine Mordsschweinerei gehabt. Also bist du für mich Hereusis, die böse griechische Göttin der Erfindungskunst«, klärte der Medicus den Totengräber über sein Späßchen auf.
Allerdings rechnete er nicht mit einer passenden Antwort seines Partners, der spontan sagte: »Ich kenne zwar keine Hereusis, du aber bist Dioskurides, der berühmte griechische Medicus und Kräuterkundige. Nun aber genug gescherzt. Geh endlich an die Arbeit! Wir sehen uns später in der ›Krone‹«, rief der Totengräber noch, bevor er das Propsteigebäude verließ.
*
Der ansonsten stinkfaule Medicus ging tatsächlich frisch ans Werk, er war gut gelaunt, die Schmerzen hielten sich in Grenzen, und die Hoffnung auf Profit verlieh ihm Flügel.
Zuerst legte er diejenigen Gewächse auf die Seite, die sich noch wohl verpackt in den kleinen Jutesäckchen befanden, in die er zur Kennzeichnung Zettelchen gesteckt hatte. Danach begann die eigentliche Arbeit, die er so eifrig und laut kommentierte, als wenn er seinem damaligen Professor etwas
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