Die Pfade des Wanderers
diesem Fall ist das kein Hinweis auf ein hohes Alter, mein Junge, sondern auf schlampige Bauweise. Es ist erbärmlich konstruiert und schlecht gebaut. Genau wie die Serie von Angriffen, mit denen wir im Paß zu tun hatten. Das läßt eher einen auf sein bloßes Glück vertrauenden, schlampigen Gegner vermuten als einen methodischen und mächtigen; vielleicht schafft er es aber immer noch, die Krämpfe und Windungen des Wanderers auf tödliche Weise zu nutzen. Wir müssen auf der Hut bleiben. Vergiß die Runen nicht.«
»Die habe ich auch nicht vergessen.«
Schweigend schritten sie nebeneinander her, und jeder hing seinen eigenen Gedanken nach. Nach einer Weile ging Clodsahamp neben Jon-Tom her.
Der warf dem Hexer einen neugierigen Blick zu. »Liegt Ihnen etwas auf dem Herzen?«
Der Hexer zögerte einen Augenblick lang, um schließlich den Hals zu recken, bis er dem hochgewachsenen jungen Mann direkt in die Augen blicken konnte. »Ich bin mir zwar sicher, mein Junge, daß wir es hier mit Dingen zu tun haben, die außerhalb des Erfahrungshorizonts der meisten Leute liegen, aber ich bin mir des Ausgangs nicht gewiß.«
»Das kann Colin auch nicht sein, trotz seiner Runen.«
»Genau. Deshalb möchte ich jetzt gern noch ein paar Dinge sagen, die ich vielleicht schon früher hätte aussprechen müssen.«
»Ich kann Ihnen nicht ganz folgen.« - »Was ich damit sagen will, mein Junge: daß ich gelegentlich etwas forsch mit dir umgegangen bin. So forsch wie manchmal auch mit Sorbl. Gelegentlich mag mein Umgangston - wenn schon nicht meine Worte - bei dir den Eindruck erweckt haben, daß ich deine Talente nur ausnutze und mir persönlich nichts aus dir mache. Das stimmt aber nicht. Ich habe dich... recht lieb gewonnen. Ich wollte nur, daß du es weißt, falls... falls etwas passiert.«
Von diesem unerwarteten Geständnis überrascht und überwältigt, wußte Jon-Tom nicht, was er sagen sollte.
»Daß ich dich in diese Welt gebracht habe, war ein Unfall, und insofern kann man mir die Schuld dafür geben; sie lastet auf meinem Panzer. Dein Erscheinen hier, als Antwort auf mein verzweifeltes Bitten um Hexerhilfe, wurde nicht sehr gnädig aufgenommen. Ich war äußerst unzufrieden und enttäuscht.«
»Ich weiß es noch«, erwiderte Jon-Tom leise.
»Doch hat das Schicksal die Eigenart, immer wieder einen Ausgleich zu schaffen, und in deinem Fall hat es noch weitaus mehr getan als nur dies. Ich möchte sagen, daß sich alles weitaus besser entwickelt hat, als jeder von uns vorhersehen konnte. Und doch fürchte ich, daß ich als Gastgeber weniger als gnädig gewesen bin.« Er hob eine Hand, um Jon-Toms Protest abzuschneiden. »Nein, laß mich ausreden. Ich bin es nicht gewöhnt, persönliche Demut in Worte zu kleiden, und wenn ich jetzt nicht ausrede, geschieht es vielleicht nie.
Du mußt zu verstehen versuchen, daß das Hexertum ein einsamer Beruf ist. Wir, die wir ihn ausüben, haben wenig Zeit, gesellschaftliche Eleganz zu entwickeln oder persönliche Beziehungen zu pflegen. Als größter Hexer der Welt muß ich schon seit über einem Jahrhundert an der Bürde meines Rufs tragen. So kommt es denn, daß ich manchmal vergesse, es mit Sterblichen zu tun zu haben, die weniger vom Leben und auch von den Feinheiten meiner Kunst verstehen als ich. Ich fürchte, daß meine Ungeduld mich manchmal zur Grobheit verleitet.
Ich will damit sagen - und ich fürchte, daß es mir nur schlecht gelingt -, daß du dich im vergangenen Jahr prächtig entwickelt hast. Du hast meine persönlichen Sticheleien mit Nachsicht ertragen, hast dich nicht häufiger beschwert, als ich von dir hätte erwarten können, und im allgemeinen hast du auch alles getan, was ich von dir verlangte.
Ich wollte dir dies nur mitteilen, damit du weißt, wie ich wirklich über dich denke. Ich möchte nicht, daß einer von uns oder wir beide auf eine höhere Ebene hinüber wechseln, ohne uns dieser Gefühle gewahr zu sein. Du machst mir Hoffnung für die Jugend dieser Welt und bist mir im hohen Alter ein Trost gewesen.«
Bevor Jon-Tom etwas zu erwidern wußte, hatte der Hexer sich Dormas angeschlossen, um mit ihr zusammen die Nachhut zu bilden. Doch es tat ohnehin nichts zur Sache: Auch die Zeit bescherte ihm keine angemessene Erwiderung. Es gab nichts zu sagen. Die Rede des Schildkröts war wohl die größte Freundschaftserklärung, die er jemals gemacht hatte. Nein, das stimmte nicht. Es war mehr als nur die Erklärung einer Freundschaft. Sie grenzte an das
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