Die Pfade des Wanderers
oberhalb der Stadt klar und rein dahinströmte, sondern daß es sofort wieder frisch zu werden schien, sobald es die Stadtgrenze hinter sich gebracht hatte. Es machte den Eindruck, als sei die Verschmutzung der Stadt unfähig, diese zusammen mit dem Strom zu verlassen. Doch gab es keine Anzeichen für irgendwelche Filter- oder Kläranlagen an der Stelle, wo aus den Kanälen ein Fluß wurde.
Zwischen den Häusern wuchsen so viele Bäume, wie Clodsahamp es vorhergesagt hatte. Doch alle waren sie tot, und dies nicht etwa als Folge des nahenden Winters. Sie waren von etwas vernichtet worden, das noch viel schlimmer war als ungnädiges Wetter. An den Hängen nördlich der Stadt, wo die berühmten Apfel und Toklahaine wuchsen, gab es nichts als verzerrte dürre Klumpen brauner Rinde, die sich gegen den Wind zusammenscharten. Keine sorgfältig gepflegten Reihen gesunder Bäume, zwischen denen emsige Bürger arbeiteten.
Und über allem schwebend diese einzelne, geheimnisvolle, reglose schwarze Wolke.
Sorbl flatterte herab, um sich wieder auf der Stange des Rücksitzes niederzulassen.
»Seid Ihr sicher, daß wir nicht irgendwo falsch abgebogen sind, Meister?«
»Nein, wir sind nicht falsch abgebogen, du gefiederter Blödmann.« Doch die Erwiderung des Hexers klang nicht sonderlich giftig. Ungläubig starrte er auf die Stadt, die sich vor ihnen ausbreitete. »Das hier ist Ospenspri. Dort drüben liegt der Acomarry-Hügel, und dort sind die drei Bäche, die sich in die Stadt hineinwinden.« Er erhob sich und lehnte sich gegen die Windschutzscheibe, um sich abzustützen. Die stöhnte.
Hinter ihnen stand der herbstliche Forst der Glockenwälder, die ihr Laub unter Begleitung trauriger, aber kaum bösartiger Klänge abschüttelten. Vor ihnen das einstmals so schöne Ospenspri mit seinen verschmutzten Wasserläufen, seiner verwüsteten Architektur und klaren Luft, die von dieser unnatürlichen Masse der Cumulonimbusse beherrscht wurde. Als er weitersprach, klang er eingeschüchtert.
»Fahr weiter, Junge, irgend etwas Schlimmes hat diesen Ort und die Leute befallen, die ihn ihr Heim nennen. Vielleicht können wir etwas tun, um ihnen zu helfen. Dazu verpflichtet uns die Ehre.«
Jon-Tom nickte und legte wieder einen Gang ein. Die zähe Übersetzung gab gurgelnde Geräusche von sich, dann schossen sie vorwärts. »Was ist denn ein Tokla?«
»Du hast noch niemals ein Tokla gegessen, mein Junge?«
»Ich glaube nicht.« Er hielt den Blick auf den Weg geheftet, während er sprach. »Klingt nicht nach irgend etwas, das dort wächst, wo ich herkomme.«
»Dann ist das schade für euch, denn es ist eine äußerst köstliche Frucht. Man kann davon so viel essen, wie man will, weil sie im Magen kleiner wird.«
»Sie meinen, sie schrumpft?«
»Nein. Sie wird kleiner, bevor sie verdaut wird. Sie hat ungefähr diese Größe.« Mit den Händen malte er einen Umriß in die Luft, der Jon-Tom an zwei Birnen erinnerte, die an ihren Spitzen zusammengewachsen waren. »Jeder Bissen schrumpft auf dem Weg nach unten zusammen. Bis er den Magen erreicht hat, ist er kaum noch so groß wie ein Fingernagel, und doch weiß man genau, daß man etwas gegessen hat, das so groß ist wie ein Laib Brot.«
»Das wäre bei uns zu Hause in den Regalen der absolute Hammer«, murmelte Jon-Tom. »Die Tokla-Frucht-Diät.«
»Diät? Was ist eine Diät?« wollte Sorbl wissen.
»Du weißt nicht, was eine Diät ist?«
»Ständig wiederholst du Fragen, Jon-Tom. Ich weiß wirklich nicht, warum Menschen soviel von ihrer Redezeit vergeuden. Wenn ich wüßte, was eine Diät ist, müßte ich dich doch wohl kaum fragen, was eine Diät ist, oder?«
»Ich glaube, betrunken gefällst du mir besser, Sorbl.«
Der Eulerich zuckte die Schultern. »Das überrascht mich nicht. Ich gefalle mir auch besser, wenn ich betrunken bin.«
»Eine Diät ist, wenn Leute absichtlich ihre Nahrungsaufnahme vermindern, um Gewicht zu verlieren.«
Der Famulus ließ den Schnabel zucken. Auf seinem wackligen Rücksitz hockte er zwar nicht besonders fest, doch immer noch fest genug, um eine Absurdität als solche zu erkennen.
»Warum will denn jemand Gewicht verlieren, wenn doch fast alle so hart daran arbeiten zuzunehmen? Soll das etwa heißen, daß es in deinem Volk Leute gibt, die absichtlich hungern?«
»Bis zu einem bestimmten Ausmaß, ja. Das tun sie, um besser auszusehen. Es ist nämlich so: Unter den Menschen, wo ich herkomme, gilt man als um so schöner, je dünner man ist.«
Mit
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