Die Pfeiler der Macht
wiederaufnahm, sobald Micky von ihr abgelassen hatte.
In jüngster Zeit hatten Edward und Micky abends wieder des öfteren ihre alten Stammlokale aufgesucht. An diesem Abend fand bei Nellie's die »Nacht der Masken« statt, eine von April eingeführte Neuerung: Alle Frauen erschienen maskiert. April behauptete, daß sich in der Nacht der Masken sexuell unerfüllte Ladies aus der Oberschicht unter die Mädchen mischten. Micky sah das eher skeptisch. Es stimmte zwar, daß außer dem üblichen Personal auch fremde Frauen erschienen, doch dabei handelte es sich seiner Einschätzung nach eher um Frauen aus den Mittelschichten, die in eine finanzielle Notlage geraten waren, als um gelangweilte Aristokratinnen auf der Suche nach degenerierten Lustbarkeiten. Aber wie dem auch sein mochte - interessant war die Nacht der Masken allemal.
Er kämmte sich die Haare, füllte seine Zigarrendose und ging die Treppe hinunter. Zu seiner Verblüffung stand Rachel unten im Flur und versperrte ihm den Weg zur Haustür. Sie hatte die Arme verschränkt, und ihre Miene verriet finstere Entschlossenheit. Micky machte sich auf eine heftige Auseinandersetzung gefaßt. »Es ist elf Uhr abends«, sagte sie. »Wo willst du hin?«
»In die Hölle«, erwiderte Micky. »Mach Platz!« Er griff nach Hut und Stock.
»Gehst du in ein Bordell namens Nellie's?« Er war so überrascht, daß ihm keine spontane Antwort einfiel. »Also stimmt es«, sagte Rachel. »Von wem weißt du das?«
Nach kurzem Zögern antwortete sie: »Von Emily Pilaster. Sie hat mir gesagt, daß ihr beide, du und Edward, dort regelmäßig verkehrt.«
»Weibergeschwätz! Darauf solltest du nichts geben.« Rachels Gesicht war kalkweiß. Sie hatte Angst, und das war ungewöhnlich. Vielleicht würde dieser Streit anders enden als sonst.
»Du darfst nicht mehr dorthin gehen«, sagte Rachel. »Versuche nicht, deinem Herrn und Meister Befehle zu erteilen! Das habe ich dir schon mehrmals gesagt.«
»Das ist kein Befehl, sondern ein Ultimatum.«
»Sei nicht albern. Und jetzt aus dem Weg mit dir!«
»Ich werde dich verlassen, und zwar noch heute abend - es sei denn, du versprichst mir, nie wieder dorthin zu gehen. Tust du es nicht, werde ich dieses Haus nie wieder betreten.« Micky merkte, daß sie es ernst meinte. Daher also die Angst in ihren Augen. Sie hatte sogar schon ihre Straßenschuhe an. »Du wirst das Haus nicht verlassen«, sagte er.
»Ich werde dich in dein Zimmer einsperren.«
»Das dürfte dir schwerfallen: Ich habe sämtliche Zimmerschlüssel abgezogen und weggeworfen. Keine einzige Tür in diesem Haus ist noch verschließbar.«
Raffiniert, dieses Weib, dachte Micky. Das verspricht ein interessantes Scharmützel zu werden ... Er grinste sie an und sagte:
»Runter mit dem Schlüpfer!«
»Das funktioniert heute abend nicht, Micky. Bisher hielt ich es immer für einen Beweis deiner Liebe. Inzwischen weiß ich, daß Sex dir lediglich dazu dient, Macht über andere Menschen auszuüben. Ich bin nicht einmal mehr sicher, ob du überhaupt Spaß daran hast.«
Er griff ihr an die Brust. Trotz der Kleider, die sie bedeckten, lag sie warm und schwer in seiner Hand. Er streichelte sie und beobachtete Rachels Gesicht, konnte jedoch keine Veränderung in ihrem Ausdruck erkennen. Diesmal war sie nicht bereit, der Leidenschaft nachzugeben. Er drückte zu und tat ihr weh. Dann nahm er die Hand weg und fragte mit unverhohlener Neugier: »Was ist denn in dich gefahren?«
»In Etablissements wie Nellie's kann man sich ansteckende Krankheiten holen.«
»Die Mädchen dort sind völlig sauber ...«
»Bitte, Micky, stell dich doch nicht dümmer, als du bist.« Sie hatte recht. Saubere Prostituierte gab es nicht. Er wußte, daß er bisher großes Glück gehabt hatte: Von einem glimpflich verlaufenen Tripper abgesehen, war er trotz vieler Jahre regelmäßiger Bordellbesuche von Krankheiten verschont geblieben. »Gut«, gab er zu, »ich könnte mich dort infizieren.«
»Und danach mich anstecken.«
Er zuckte mit den Schultern. »Das gehört zu den Risiken aller Ehefrauen. Ich könnte dich auch mit den Masern anstecken, falls es mich erwischt.«
»Aber Syphilis vererbt sich.«
»Was willst du damit sagen?«
»Ich könnte damit unsere Kinder anstecken - falls wir welche bekommen sollten. Und das will ich unter allen Umständen vermeiden. Ich möchte nicht, daß meine Kinder mit dieser grauenhaften Krankheit auf die Welt kommen.« Sie atmete hastig und stoßweise, was auf enorme innere
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