Die Pfeiler der Macht
gegeben.
Inzwischen war man dabei, die Verträge auszuarbeiten. Das war ein geradezu schmerzhaft langwieriger Prozeß. Was Micky das Leben schwermachte, war die Tatsache, daß Papa partout nicht begreifen wollte, warum solche Dinge nicht in ein paar Stunden über die Bühne zu bringen waren. Papa wollte nur eines: sofort Geld sehen.
Andererseits jedoch konnte Micky angesichts der vielen Hindernisse, die er erfolgreich überwunden hatte, recht zufrieden mit sich sein. Nach der glatten Absage, die ihm Edward zunächst erteilt hatte, war er vor einer schier unlösbaren Aufgabe gestanden. Doch dann war es ihm mit Augustas Hilfe gelungen, Edward zu verheiraten und ihm auf diese Weise die Teilhaberschaft in der Bank zu verschaffen. Im nächsten Zug hatte er die Opposition Hugh Pilasters und Tonio Silvas im Keim erstickt. Nun würde er in Kürze die Früchte seiner Bemühungen ernten können. Daheim in Cordoba, soviel stand fest, würde die Santamaria-Bahn stets als »Mickys Bahn« gelten. Eine halbe Million Pfund war eine gewaltige Summe, höher als der gesamte Verteidigungshaushalt des Landes. Die Bahn allein versprach, alle bisherigen Leistungen und Errungenschaften seines Bruders Paulo in den Schatten zu stellen.
Ein paar Minuten später betrat Micky Miranda Nellies Bordell. Die Feier war bereits in vollem Gange. Alle Tische waren besetzt, die Luft war von Zigarrenrauch geschwängert, und hin und wieder übertönten derbe Scherze und heiseres Gelächter die Musik der kleinen Kapelle, die laute Tanzmusik spielte. Alle anwesenden Frauen waren maskiert. Einige wenige beschränkten sich auf kleine Gesichtsmasken, die meisten jedoch verbargen sich hinter raffinierteren Verkleidungen, und manche trugen einen Kopfputz, der bis auf Augen und Mund alles verhüllte. Micky schob sich durch die Menge, nickte Bekannten zu und gab im Vorübergehen dem einen oder anderen Mädchen einen Kuß. Edward befand sich im Spielzimmer, erhob sich jedoch sofort bei Mickys Eintreten. »April hat 'ne Jungfrau für uns«, sagte er mit schwerer Zunge. Es war schon spät, und er hatte viel getrunken. Obwohl Jungfräulichkeit nie zu Mickys besonderen Obsessionen gehört hatte, stimulierte ihn die
Vorstellung von einem Mädchen, das sich möglicherweise fürchtete.
»Wie alt?«
»Siebzehn.«
Also wahrscheinlich dreiundzwanzig, dachte Micky, der genau wußte, nach welchen Kriterien April das Alter ihrer Mädchen taxierte. Trotzdem war er neugierig. »Hast du sie schon gesehen?«
»Ja. Aber sie ist natürlich maskiert.«
»Natürlich.« Woher kam sie? Vielleicht aus der Provinz, vielleicht war sie aus ihrem Elternhaus fortgelaufen und lungerte nun mittellos in London herum. Vielleicht handelte es sich auch um ein entführtes Bauernmädchen oder um eine Hausangestellte, die es satt hatte, sechzehn Stunden am Tag für einen Wochenlohn von sechs Shilling Sklavenarbeit zu leisten.
Eine Frau mit einer kleinen schwarzen Dominomaske berührte Mickys Arm. Er erkannte April sofort; ihre Maske war kaum mehr als eine symbolische Verkleidung. »Eine echte Jungfrau«, sagte sie.
Es stand außer Frage, daß sie Edward für das Privileg der Entjungferung ein kleines Vermögen in Rechnung stellte. »Hast du nachgefühlt, ob das Häutchen wirklich noch da ist?« fragte Micky skeptisch.
April schüttelte den Kopf. »Das brauche ich nicht. Ich weiß genau, ob ein Mädchen die Wahrheit sagt oder nicht.«
»Wenn ich's nicht platzen fühle, kriegst du kein Geld«, sagte er, obwohl beide genau wußten, daß Edward der Zahlmeister war. »Einverstanden.«
»Woher kommt sie?«
»Sie ist Vollwaise und wurde von einem Onkel aufgezogen. Er wollte sie so schnell wie möglich wieder loswerden und suchte ihr daher einen Ehemann aus, der sehr viel älter war als sie. Als sie nein sagte, setzte er sie auf die Straße. Ich bewahre sie vor schweren Entbehrungen und übler Schinderei.«
»Du bist ein wahrer Engel«, sagte Micky sarkastisch. Er glaubte ihr kein Wort. Obwohl er Aprils Züge wegen der Maske nicht studieren konnte, war er fest davon überzeugt, daß sie irgend etwas im Schilde führte. Er sah sie mißtrauisch an. »Sag mir die Wahrheit!«
»Das habe ich bereits getan«, erwiderte April. »Und falls ihr sie nicht wollt, so laßt euch eines gesagt sein: Hier in diesen Räumen befinden sich mindestens sechs Männer, die mir genauso viel zahlen würden wie ihr.«
»Wir wollen sie ja«, sagte Edward ungeduldig. »Hör jetzt mit der Nörgelei auf, Micky. Gehen wir
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