Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Pfeiler der Macht

Die Pfeiler der Macht

Titel: Die Pfeiler der Macht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
Vom Netzwerk:
Southwark überredet. Die laufenden Kosten des Krankenhauses wurden daher durch Einkünfte aus Investitionen gedeckt. Für das Geld war Rachels Vater zuständig, der einzige Mann in der Krankenhausverwaltung. Maisie, die sich zunächst selber um die Investitionen hatte kümmern wollen, mußte bald die Erfahrung machen, daß sie von Bankiers und Börsenmaklern nicht ernst genommen wurde. Sie ignorierten ihre Instruktionen, ragten sie des öfteren nach der Zustimmung ihres Ehemanns und enthielten ihr wichtige Informationen vor. Maisie hätte natürlich dagegen ankämpfen können, doch da die beiden Frauen beim Aufbau des Krankenhauses ohnehin schon genug Scherereien hatten, überließen sie die Finanzen schließlich Mr. Bodwin. Maisie war Witwe, Rachel dagegen nach wie vor mit Micky Miranda verheiratet. Obwohl die Eheleute keinerlei Kontakt mehr miteinander hatten, weigerte Micky sich, in eine Scheidung einzuwilligen. Seit über zehn Jahren hatte Rachel ein heimliches Verhältnis mit Dan Robinson, Maisies Bruder, der inzwischen Unterhausabgeordneter war. Die drei lebten zusammen in Maisies Haus im Londoner Vorort Walworth.
    Das Krankenhaus lag in einem Arbeiterviertel mitten in der Stadt. Sie hatten vier Reihenhäuser unweit der Kathedrale von Southwark langfristig gepachtet, die Trennmauern auf jeder Etage durchbrochen und mit Verbindungstüren versehen. Anstelle der sonst üblichen höhlenartigen Stationen, in denen sich Bett an Bett reihte, wurden kleine, bequeme Zwei- und Dreibettzimmer eingerichtet.
    Maisies Büro in der Nähe des Haupteingangs war ein Refugium, in dem zwei bequeme Sessel, ein ausgeblichener Teppich, bunte Vorhänge und eine Vase mit frischen Blumen für Gemütlichkeit sorgten. An der Wand hing gerahmt das Plakat mit der »phantastischen Maisie«. Der Schreibtisch war unaufdringlich, und die Bücher mit ihren Aufzeichnungen waren in einem ehemaligen Geschirrschrank verstaut.
    Die Frau, die ihr in zerlumpter Kleidung gegenübersaß, trug weder Schuhe noch Strümpfe und war im neunten Monat schwanger. In ihren Augen lag der argwöhnische, verzweifelte Blick einer hungernden Katze, die sich, von der Hoffnung auf etwas Freßbares getrieben, in ein fremdes Haus einschleicht. »Wie heißen Sie, meine Liebe?« fragte Maisie. »Rose Porter, gnä' Frau.«
    Alle nannten sie »gnä' Frau«, als wäre sie eine große Dame. Maisie hatte den Versuch, sich mit ihrem Vornamen anreden zu lassen, längst aufgegeben. »Möchten Sie eine Tasse Tee?«
    »Ja, bitte, gnä' Frau.«
    Maisie goß Tee in eine einfache Porzellantasse und gab Milch und Zucker hinzu. »Sie sehen müde aus.«
     

»Ich komme aus Bath, gnä' Frau. Bin die ganze Strecke gelaufen.« Das waren hundertsechzig Kilometer. »Da waren Sie ja mindestens eine Woche lang unterwegs, Sie Ärmste!« sagte Maisie. Rose brach in Tränen aus. Es war die übliche Reaktion, und Maisie war längst daran gewöhnt. Am besten ließ man die Frauen sich ausweinen, auch wenn es eine Weile dauerte. Sie setzte sich auf die Armlehne des Sessels, legte Rose den Arm um die Schultern und zog sie an sich.
    »Ich weiß, daß ich schlecht bin«, schluchzte Rose. »Sie sind nicht schlecht«, erwiderte Maisie. »Wir sind lauter Frauen hier und verstehen Sie. Von Verderbtheit und Sünde redet hier bei uns niemand, das überlassen wir den Pfarrern und Politikern.«
    Rose beruhigte sich allmählich und trank ihren Tee. Maisie nahm das aktuelle Notizbuch aus dem Schrank und setzte sich an ihren Schreibtisch. Sie machte sich Aufzeichnungen über jede Frau, die aufgenommen wurde. Ihre Notizen hatten sich schon oft als sehr nützlich erwiesen. Behauptete zum Beispiel ein selbstgerechter Konservativer im Parlament, unverheiratete Mütter seien meist Prostituierte und hätten oft nichts anderes im Sinn, als ihre Babys so schnell wie möglich loszuwerden, oder gab er vergleichbaren Blödsinn von sich, dann schrieb Maisie ihm einen höflichen, sachlichen Brief, in dem sie seine Anschuldigungen Punkt für Punkt widerlegte. In ihren Reden, die sie landauf, landab hielt, wiederholte sie ihre Argumente.
    »Erzählen Sie mir, was passiert ist«, sagte sie zu Rose. »Wie sah Ihr Leben aus, bevor Sie schwanger wurden?«
    »Ich war Köchin bei einer Mrs. Freeman in Bath.«
    »Und wie haben Sie Ihren jungen Mann kennengelernt?«
    »Er hat mich auf der Straße angesprochen. Es war an meinem freien Nachmittag, und ich hatte einen neuen gelben Sonnenschirm. Ich sah toll aus, das weiß ich genau. Dieser

Weitere Kostenlose Bücher