Die Pfeiler der Macht
Kopf und strich ihm sanft übers Haar. Edward rührte sich nicht.
»Ohne sie ist es doch viel schöner...« flüsterte Micky. »Nicht wahr, Edward?«
Edward schluckte hart, sagte aber nichts.
»Nicht wahr, Edward?« wiederholte Micky.
Jetzt endlich erhielt er eine Antwort. »Ja«, flüsterte Edward, »doch, ja ...«
In der darauffolgenden Woche umfing Micky Miranda zum erstenmal die ehrwürdige, gedämpfte Stille des Direktionszimmers im Bankhaus Pilaster.
Seit siebzehn Jahren hatte er der Familie regelmäßig Aufträge verschafft, doch jedesmal, wenn er in der Bank zu tun hatte, führte man ihn in irgendeinen Besprechungsraum, während ein Bote Edward aus dem Direktionszimmer holte. Wäre ich Engländer, hätte man mich sehr viel früher ins Allerheiligste gelassen, vermutete er. Er liebte London, war sich aber voll darüber im klaren, daß er hier immer nur ein Außenseiter bleiben würde. Er war sehr nervös, als er den Plan des Hafens von Santamaria auf dem großen Tisch in der Zimmermitte ausbreitete. Die Zeichnung zeigte einen völlig neuen Hafen an der Atlantikküste von Cordoba. Reparaturwerften für Schiffe waren ebenso vorgesehen wie ein Eisenbahnanschluß.
Realisiert werden sollte das Projekt natürlich nie. Die zwei Millionen Pfund sollten direkt in die Kriegskasse des Miranda-Clans fließen. Die vorgelegte Projektstud i e sowie der Plan selbst waren indessen echt und verrieten durchaus eine professionelle Hand. Hätte es sich um ein echtes Projekt gehandelt, so wäre damit möglicherweise sogar Geld zu verdienen gewesen.
Aber das Projekt war eben kein echtes - und zählte als solches vermutlich zu den ehrgeizigsten Schwindelgeschäften der Wirtschaftsgeschichte.
Während Micky den Teilhabern einen langen Vortrag über Baumaterialien, Arbeitskosten, Zollgebühren und Rendite- Erwartungen hielt, bemühte er sich angestrengt, nach außen hin einen ruhigen und besonnenen Eindruck zu erwecken. Seine gesamte Karriere, die Zukunft seiner Familie und das Schicksal seines Landes hingen von der Entscheidung ab, die hier und heute in diesen vier Wänden fallen sollte.
Auch die Teilhaber waren angespannt. Alle sechs waren sie anwesend: die beiden angeheirateten Familienmitglieder Major Hartshorn und Sir Harry Tonks; Samuel, die alte Schwuchtel; der junge William sowie Edward und Hugh.
Eine harte Auseinandersetzung war zu erwarten, doch die Chancen für Edward standen nicht schlecht. Er war Seniorpartner. Major Hartshorn und Sir Harry taten stets, was ihre Pilaster-Gattinnen ihnen auftrugen, und diese wiederum erhielten ihre Instruktionen von Augusta, so daß Edward fest auf ihre Stimmen zählen konnte. Samuel würde vermutlich Hugh unterstützen. Der junge William war der einzige, dessen Entscheidung sich nicht vorhersagen ließ.
Edward war erwartungsgemäß Feuer und Flamme. Er hatte Micky verziehen - die beiden waren wieder die besten Freunde -, und das anstehende Geschäft war sein erstes großes Projekt als Seniorpartner. Er war sichtlich zufrieden, daß es ihm gelungen war, gleich zu Beginn seiner Amtszeit mit einem solchen Großauftrag aufwarten zu können.
Nach ihm ergriff Sir Harry das Wort. »Der Plan ist gut durchdacht«, sagte er. »Außerdem haben wir mit Cordoba-Anleihen in den vergangenen zehn Jahren beste Erfahrungen gemacht. Nach meinem Dafürhalten handelt es sich um einen recht attraktiven Vorschlag.«
Hugh sprach sich, wie vorauszusehen war, gegen das Projekt aus.
»Ich habe mir noch einmal genau angesehen, was mit den letzten südamerikanischen Emissionen geschehen ist, die über die Bank gelaufen sind«, sagte er und verteilte eine Tabelle in mehrfacher Ausfertigung an die Anwesenden.
Aufmerksam studierte Micky die Zahlen, während Hugh sein Plädoyer fortsetzte: »Der Zinssatz der Anleihe stieg von sechs Prozent vor drei Jahren auf siebeneinhalb Prozent im vergangenen Jahr. Trotz dieser Erhöhung wurden von Mal zu Mal weniger Anleihen verkauft.«
Micky verstand genug von Finanzen, um zu erkennen, worum es ging: Die Investoren fanden südamerikanische Anleihen immer weniger attraktiv. Hughs mit ruhiger Stimme vorgebrachte Argumentation und die unerbittliche Logik, die dahintersteckte, trieben ihn schier zur Weißglut.
»Außerdem war die Bank bei jeder der letzten drei Emissionen verpflichtet, Anleihen vom freien Markt aufzukaufen, um den Preis künstlich hochzuhalten.« Dies bedeutete - Micky merkte es sofort -, daß die Zahlen der Tabelle das Problem eher noch verharmlost
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