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Die Pfeiler der Macht

Die Pfeiler der Macht

Titel: Die Pfeiler der Macht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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Über seiner Schulter hing ein Lederbeutel voller Geld, und er stand unter einem Spruchband mit der Aufschrift: Wm. Tücher, the King's Head, Chichester.
    Tonio und Solly wetteten bei jedem Rennen, was Maisie bald langweilte. Für Nichtwetter glich ein Pferderennen dem anderen. Schließlich beschloß sie, da April nicht von Tonios Seite wich, sich auf eigene Faust etwas umzusehen.
    Die Pferde waren beileibe nicht die einzige Attraktion. Auf d e m Gelände rund um die Rennbahn wimmelte es nur so von Zelten, Buden und Karren. Dunkelhäutige Zigeunerinnen mit bunten Kopftüchern sagten die Zukunft voraus. Spielbuden und Gruselkabinette, in denen Mißbildungen zur Schau gestellt wurden, warben um Kundschaft; Wacholderschnaps, Apfelwein, Fleischpasteten, Apfelsinen und Bibeln wurden feilgeboten. Drehorgelspieler und Musikanten, Taschenspieler, Jongleure und Akrobaten buhlten um die Gunst des Publikums, und jeder bat um ein paar Pennys Lohn für seine Darbietungen. Es gab Zwerge, Riesen, Stelzenläufer und tanzende Hunde. Die überschwengliche Volksfeststimmung erinnerte Maisie stark an den Zirkus, und auf einmal verspürte sie eine schmerzvolle Sehnsucht nach dem Leben, das sie einst geführt hatte. Das fahrende Volk war hierhergekommen, um den Leuten auf jede nur denkbare Weise das Geld aus der Tasche zu ziehen. Maisie wurde es warm ums Herz, wenn sie sah, daß der eine oder andere damit Erfolg hatte. Warum mag ich bloß nichts von Solly annehmen? fragte sie sich bedrückt. Es ist doch Wahnsinn, mit einem der reichsten Männer der Welt auszugehen und nach wie vor in einem winzigen Zimmerchen in Soho zu leben! Ich könnte längst Diamanten und teure Pelze tragen und mit einem kleinen Vorstadthäuschen in St. John's Wood oder Clapham liebäugeln ... Es war abzusehen, daß sie nicht mehr lange als Zureiterin für Mr. Sammles arbeiten konnte. Die Saison in London näherte sich ihrem Ende, und die Leute, die es sich leisten konnten, Pferde zu kaufen, zogen wieder aufs Land. Dennoch war Maisies Stolz so groß, daß sie Solly nicht erlaubte, ihr mehr als Blumen zu schenken. April bekam deswegen regelmäßig Tobsuchtsanfälle. Vor einem großen Zelt blieb Maisie stehen. Am Eingang standen zwei als Buchmacher verkleidete Mädchen und ein Mann in einem schwarzen Anzug, der mit lauter Stimme rief: »Die einzige Gewißheit, die Sie bei den Rennen in Goodwood haben, ist der nahende Tag des Jüngsten Gerichts! Setzen Sie auf Jesus Christus, und Sie werden das ewige Leben gewinnen!« Im Zeltinneren war es schattig und vielleicht etwas kühler. Maisie trat kurz entschlossen ein. Die meisten Leute, die auf den Bänken saßen, erweckten den Eindruck, als wären sie längst bekehrt. Maisie ließ sich auf einer Bank in der Nähe des Eingangs nieder und nahm ein Gesangbuch zur Hand.
    Sie verstand nur allzu gut, warum sich Menschen religiösen Gemeinschaften anschlossen und die großen Pferderennen zu Volkspredigten nutzten. Es war das Gefühl der Zusammengehörigkeit, das sie bewegte. Und genau dieses Gefühl war es, das sie an Solly Greenbourne reizte - nicht so sehr die Diamanten und Pelze, sondern die Vorstellung, Solly Greenbournes Mätresse zu sein. Dazu ein Dach über dem Kopf, ein gesicherter Lebensunterhalt, eine gewisse Position ... Ein solches Arrangement war gesellschaftlich keineswegs angesehen und obendrein zeitlich begrenzt - es würde nur so lange dauern, bis Solly ihrer überdrüssig wurde -, aber es wäre doch sehr viel mehr, als ihr im Augenblick zur Verfügung stand.
    Die Gemeinde erhob sich und stimmte ein Lied an. Es ging um das Blut des Lammes, mit dem man reingewaschen wurde. Maisie stellte sich das bildhaft vor. Als ihr übel wurde, verließ sie das Zelt.
    Kurz darauf kam sie an einem Puppentheater vorbei. Die Vorstellung erreichte gerade ihren Höhepunkt: Der jähzornige Mr. Punch wurde von seiner knüppelschwingenden Gattin Judy von einer Seite der kleinen Bühne auf die andere geprügelt. Mit kundigen Augen beobachtete Maisie das Publikum. Die Punch-and-Judy-Show war, wurde sie ehrlich betrieben, alles andere als eine Goldgrube, denn die meisten Zuschauer verdrückten sich, wenn es ans Zahlen ging, und der Rest ließ sich allenfalls Halfpennies entlocken. Aber es gab andere Mittel und Wege, ans Geld des Publikums zu kommen. Nur Augenblicke später entdeckte Maisie ganz hinten in der Menge einen Jungen, der es auf einen Mann mit Zylinder abgesehen hatte. Alle Anwesenden außer Maisie folgten gebannt der Vorstellung.

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