Die Pfeiler der Macht
nickte.
»Danke, Madam«, sagte er und begann mit den beiden Hausmädchen, den Tisch zu decken. Hasteads unterwürfiges Benehmen und der Anblick von Dienstpersonal, das willfährig ihre Befehle ausführte, übten mitunter eine besänftigende Wirkung auf Augusta aus. Diesmal klappte es jedoch nicht. Sie stand auf und öffnete die Verandatüren, aber auch der sonnige Garten half ihr nicht weiter. Wie kann ich nur diesen David Middleton bremsen? fragte sie sich verzweifelt.
Sie brütete noch immer über dieser Frage, als Micky Miranda eintraf.
Augusta freute sich über sein Kommen. Im schwarzen Gehrock und gestreiften Hosen, mit makellosem weißem Stehkragen und schwarzer Seidenkrawatte um den Hals, sah er reizvoll aus wie eh und je. Er merkte auf Anhieb, daß sie Sorgen hatte, und kehrte sofort den Mitleidsvollen hervor. Mit der Grazie und Schnelligkeit einer Wildkatze war er bei ihr, und seine Stimme klang wie eine Liebkosung. »Mrs. Pilaster! Was hat Sie so echauffiert?« Sie war dankbar, daß er als erster Gast erschien, und ergriff seine Arme.
»Etwas Furchtbares ist geschehen!«
Seine Hände ruhten auf ihrer Taille, wie im Tanz, und ein Lustschauer durchfuhr sie, als sie den Druck seiner Fingerspitzen auf ihren Hüften spürte. »Quälen Sie sich nicht!« sagte er beschwichtigend. »Und erzählen Sie mir, was Sie so bedrückt.« Sie fühlte sich schon ruhiger. In Augenblicken wie diesen mochte sie Micky sehr gerne. Sie fühlte sich in seiner Gegenwart fast wie damals als junges Mädchen mit dem Grafen Strang. Überhaupt erinnerte Micky sie stark an Strang: das elegante Auftreten, die exquisite Garderobe, vor allem aber auch die Art, wie er sich bewegte, die fließende Geschmeidigkeit seiner Glieder und seines Körpers. Strang, ein typischer Engländer, war blond gewesen, Micky war dagegen ein dunkler, romanischer Typ. Was beide verband, war, daß sich Augusta in ihrer Gegenwart ihrer Weiblichkeit sehr deutlich bewußt wurde. Und so hätte sie auch jetzt am liebsten Mickys Körper an sich gezogen und ihre Wange an seine Schulter gelehnt...
Sie merkte, daß die Hausmädchen sie anstarrten und daß es schon eine Spur ungehörig war, wie Micky ihr da gegenüberstand, mit seinen Händen auf ihren Hüften ... Sie löste sich von ihm, nahm seinen Arm und führte ihn durch die Terrassentür in den Garten, wo das Personal sie nicht mehr hören konnte. Die Luft war warm und mild. Sie setzten sich dicht nebeneinander auf eine im Schatten stehende Holzbank, und Augusta wandte sich ihm zu. Liebend gerne hätte sie seine Hand ergriffen, doch das wäre unschicklich gewesen.
»Ich sah, wie Samuel das Haus verließ«, sagte Micky. »Hat er etwas damit zu tun?«
Augusta sprach leise, und Micky beugte sich zu ihr, um sie besser zu verstehen. Er war ihr jetzt so nah, daß sie ihn beinahe hätte küssen können, ohne eine weitere Bewegung machen zu müssen. »Er kam, um mir mitzuteilen, daß er sich nicht um den Posten des Seniorpartners bewerben wird.«
»Das ist doch eine gute Nachricht!«
»Ja. Sie besagt, daß meinem Gatten die Position sicher ist.«
»Und daß Papa seine Gewehre bekommt.«
»Sobald Seth zurücktritt, ja.«
»Das ist ja zum Verrücktwerden, wie lange der alte Seth noch auf der Matte steht!« rief Micky aus. »Papa fragt mich ununterbrochen, wann es endlich soweit ist.«
Augusta wußte, was Micky so beunruhigte: Er fürchtete, sein Vater könne ihn nach Cordoba zurückbeordern. Um ihn zu trösten, sagte sie: »Ich kann mir nicht vorstellen, daß Seth noch lange durchhält.«
Er blickte ihr tief in die Augen. »Aber das war es doch nicht, was Sie so verstört hat.«
»Nein. Es ging um diesen armseligen Burschen, der damals bei euch in Windfield ertrunken ist - Peter Middleton. Samuel hat mir erzählt, daß neuerdings Peters Bruder, ein Rechtsanwalt, herumläuft und Fragen stellt.«
Mickys hübsches Gesicht verdüsterte sich. »Nach all den Jahren?«
»Er hat anscheinend lange den Mund gehalten, um seine Eltern zu schonen. Aber die sind inzwischen gestorben.« Micky runzelte die Stirn. »Für wie ernst halten Sie das Problem?«
»Das müßtest du eigentlich besser wissen als ich.« Augusta zögerte. Ihr lag eine Frage auf dem Herzen, die sie unbedingt loswerden mußte, aber sie fürchtete sich vor der Antwort. Sie nahm all ihren Mut zusammen. »Micky ... Sag mal, war Edward etwa an dem Tod des Jungen schuld?«
»Nun, also ...«
»Ja oder nein!« befahl sie.
Micky antwortete nicht sofort, doch
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