Die Pfeiler der Macht
immer jemanden, der einem hilft. Es gibt Liebeleien, viel Streit, manchmal auch Schlägereien. In den drei Jahren, die ich beim Zirkus war, habe ich sogar zwei Morde miterlebt.«
»Gütiger Himmel!«
»Und auf die Bezahlung kann man sich auch nicht immer verlassen.«
»Wieso?«
»Wenn die Leute sparen müssen, fangen sie immer bei der Unterhaltung an.«
»Gut zu wissen. Ich werde mich also davor hüten, das Geld der Bank in die Vergnügungsbranche zu investieren.« Maisie lächelte.
»Denken Sie immerzu an Geld und Finanzen?« Nein, dachte Hugh, ich denke immerzu an deine Brüste. Aber er sagte: »Nun ja, sehen Sie, ich bin der Sohn des schwarzen Schafs der Familie. Zwar verstehe ich vom Bankwesen mehr als die anderen jungen Männer in der Familie, aber um meinen Wert unter Beweis zu stellen, muß ich doppelt so hart arbeiten.«
»Und warum ist das so wichtig, daß Sie Ihren Wert unter Beweis stellen?«
Gute Frage, dachte Hugh und ließ sie sich gründlich durch den Kopf gehen, bevor er antwortete. »Es liegt mir irgendwie im Blut, glaube ich. In der Schule mußte ich immer Klassenbester sein. Durch den Bankrott meines Vaters wurde es noch schlimmer: Alle Welt glaubt nämlich, daß ich genauso versagen werde wie er. Ich muß ihnen unbedingt das Gegenteil beweisen.«
»Mir geht es irgendwie ähnlich«, sagte Maisie. »Ich will nie und nimmer ein solches Leben führen müssen wie meine Mutter, immer am Rande der bittersten Not. Ich will zu Geld kommen, egal wie.«
So liebenswürdig, wie es ihm nur möglich war, fragte Hugh:
»Gehen Sie deshalb mit Solly aus?«
Maisie runzelte die Stirn. Sie nimmt mir die Frage übel, dachte Hugh im ersten Moment, doch da wich der Anflug von Unmut einem ironischen Lächeln. »Die Frage ist berechtigt, denke ich. Wenn Sie die Wahrheit wissen wollen, bitte: Ich bin nicht stolz auf meine Verbindung zu Solly Greenbourne. Ich habe gewisse ... falsche Vorstellungen in ihm geweckt.«
Das verwunderte Hugh. Hieß das etwa, daß sie und Solly nicht ...?
»Er scheint Sie sehr zu mögen.«
»Ich mag ihn auch. Aber ihm geht es nicht um Kameradschaft, es ging ihm nie darum. Und das war mir von Anfang an klar.«
»Ich verstehe.« Also hat sie es mit ihm noch nicht getan, dachte Hugh, und das heißt wohl, daß sie auch nicht bereit ist, es mit mir zu tun ... Er war gleichermaßen enttäuscht wie erleichtert - enttäuscht, weil er sie so sehr begehrte, und erleichtert, weil er so aufgeregt war.
»Irgend etwas scheint Sie froh zu stimmen«, sagte Maisie. »Ja, ich glaube, das Wissen, daß Sie und Solly nur Freunde sind, stimmt mich froh.«
Maisie erwiderte nichts. Sie sah ein wenig traurig aus, und Hugh fragte sich, ob er etwas Falsches gesagt hatte. Er beglich die Rechnung. Das Essen war ziemlich teuer, aber Hugh hatte das Geld mitgenommen, das eigentlich als Grundstock für den nächsten Anzug dienen sollte, und war daher recht gut bei Kasse. Als sie das Restaurant verließen, kamen ihnen die Leute im Park viel lebhafter und ausgelassener vor als zuvor, was gewiß daran lag, daß in der Zwischenzeit viel Bier und Gin die durstigen Kehlen hinuntergeronnen waren.
Sie kamen an einem Tanzlokal vorbei. Was das Tanzen betraf, war Hugh zuversichtlich: Es war das einzige Fach gewesen, das an der Folkestone Akademie für die Söhne von Gentlemen gründlich gelehrt wurde.
Er führte Maisie auf die Tanzfläche und nahm sie zum erstenmal in die Arme. Seine Fingerspitzen kribbelten, als seine rechte Hand auf ihrem Rücken knapp oberhalb der Turnüre zu liegen kam. Durch die Kleidung hindurch spürte er die Wärme ihres Körpers. Mit seiner linken Hand hielt er ihre rechte, worauf sie mit leichtem Druck reagierte. Die Empfindung elektrisierte ihn. Am Ende des ersten Tanzes lächelte er sie zufrieden an und war verdutzt, als ihre Hand nach oben fuhr und eine Fingerspitze seinen Mund berührte. »Dein Grinsen gefällt mir«, sagte sie. »Du siehst dann aus wie ein kleiner Junge.«
Das war nicht unbedingt der Eindruck, den Hugh erwecken wollte, doch war er inzwischen mit allem einverstanden - Hauptsache, es gefiel Maisie.
Der nächste Tanz begann. Als Partner ergänzten sie sich hervorragend. Maisie war zwar recht klein, doch Hugh war auch kein Riese, und beide waren sie leichtfüßig und gewandt. Hugh hatte schon mit Dutzenden, wenn nicht Hunderten von Mädchen getanzt, aber noch nie hatte er es so genossen. Ihm war, als entdeckte er zum erstenmal das wunderbare Gefühl, eine Frau im Arm zu
Weitere Kostenlose Bücher