Die Pfeiler der Macht
als »Miß Cox« vor.
Die Unterhaltung drehte sich ausnahmslos um die Wettergebnisse. Edward und Tonio hatten mit einem Pferd namens Prince Charlie viel Geld gewonnen. Solly hatte anfangs ebenfalls gewonnen und danach wieder verloren, wobei ihm das eine anscheinend ebenso viel Spaß gemacht hatte wie das andere. Allein Micky schwieg sich über seine Erfolge oder Mißerfolge aus. Maisie nahm an, daß er nicht so hoch gesetzt hatte wie die anderen. Für einen leidenschaftlichen Spieler hielt sie ihn nicht; dafür kam er ihr zu vorsichtig, zu berechnend vor.
Doch schon mit seinem nächsten Satz verblüffte er sie. »Wir spielen heute abend, Greenbourne«, sagte er, an Solly gewandt. »Es geht um eine Menge Holz. Mindesteinsatz ein Pfund. Bist du dabei?« Unwillkürlich schoß Maisie der Gedanke durch den Kopf, daß sich hinter Mickys lässiger Haltung eine nicht zu unterschätzende Anspannung verbarg. Er war ein verschlagener Bursche. Solly war zu allem bereit. »Ich bin dabei«, sagte er. Micky wandte sich an Tonio. »Und du? Kommst du auch mit?« In Maisies Ohren hatte sein unterkühlter Ton einen falschen Klang.
»Auf jeden Fall«, sagte Tonio aufgeregt. »Ich bin dabei!« April wirkte beunruhigt. »Heute abend nicht, Tonio«, maulte sie. »Du hast es mir versprochen.«
Wahrscheinlich kann sich Tonio so hohe Einsätze gar nicht leisten, dachte Maisie.
»Was habe ich versprochen?« fragte er zurück und zwinkerte seinen Freunden zu.
April flüsterte ihm etwas ins Ohr. Die Männer lachten auf. »Es ist das letzte große Spiel in der Saison, Silva«, sagte Micky. »Wird dir noch leid tun, wenn du es versäumst.« In den Argyll Rooms hatte Maisie den Eindruck gewonnen, daß Micky Tonio nicht leiden konnte. Daß er sich jetzt so um ihn bemühte, überraschte sie. Warum will er ihn unbedingt zum Kartenspielen verleiten? fragte sie sich.
»Ich habe heute einen Glückstag«, sagte Tonio. »Seht doch, wieviel ich bei den Rennen gewonnen habe! Ich werde heute abend auch beim Kartenspiel gewinnen.«
Micky warf Edward einen Blick zu, und Maisie glaubte, darin eine gewisse Erleichterung feststellen zu können. »Wollen wir gemeinsam im Club zu Abend essen?« fragte Edward. Solly sah Maisie an, der in diesem Augenblick klar wurde, daß ihr damit gerade eine perfekte Ausrede wie auf einem Silbertablett präsentiert wurde. »Geh ruhig mit deinen Freunden essen, Solly«, sagte sie. »Es macht mir nichts aus.«
»Wirklich nicht?«
»Nein, bestimmt nicht. Es war ein sehr schöner Tag für mich. Du kannst heute abend ruhig in deinen Club gehen.«
»Dann sind wir uns also einig«, sagte Micky. Woraufhin er, sein Vater, Miss Cox und Edward sich empfahlen. Tonio und April entfernten sich ebenfalls, weil das nächste Rennen anstand und sie noch eine Wette abschließen wollten. Solly bot Maisie den Arm und fragte: »Wollen wir einen kleinen Spaziergang machen?«
Sie schlenderten die weißgestrichene Absperrung entlang, welche die Rennbahn umgab. Die Sonne schien warm, und die würzige Landluft war angenehm.
Nach einer Weile sagte Solly: »Magst du mich eigentlich, Maisie?«
Sie blieb stehen, stellte sich auf die Zehenspitzen und küßte ihn auf die Wange. »Ich mag dich sehr, Solly.«
Er sah ihr in die Augen, und Maisie erkannte bestürzt die Tränen hinter seinen Brillengläsern. »Solly, mein Lieber, was ist denn los?«
»Ich mag dich auch«, erwiderte er. »Ich habe noch nie in mein e m Leben einen Menschen so gern gehabt wie dich.«
»Danke, Solly.« Sein Geständnis rührte sie zutiefst. Solly pflegte nur selten ein stärkeres Gefühl zu zeigen als maßvolle Begeisterung.
Und dann sagte er: »Willst du mich heiraten?« Sie war wie vor den Kopf geschlagen. Das war das letzte, was sie erwartet hatte. Männer aus Sollys Kreisen machten Mädchen wie ihr gewöhnlich keine Heiratsanträge. Sie war so verblüfft, daß sie kein Wort über die Lippen brachte.
»Ich erfülle dir jeden Wunsch«, fuhr Solly fort. »Bitte sag ja.« Solly heiraten! Maisie wußte, daß sie in diesem Fall unglaublich reich sein würde - bis an ihr Lebensende. Ein weiches Bett in der Nacht, ein prasselndes Kaminfeuer in jedem Zimmer des Hauses, und mehr Butter, als sie je würde essen können ... Ich kann aufstehen, wann es mir gefällt, ich werde nie wieder frieren, nie wieder Hunger leiden, nie wieder müde und kaputt sein, ich brauche nie wieder abgetragene Kleider anzuziehen ...
Das Wörtchen »Ja« lag ihr fast schon auf der Zunge. Sie dachte an
Weitere Kostenlose Bücher