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Die Pfeiler der Macht

Die Pfeiler der Macht

Titel: Die Pfeiler der Macht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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kümmern.
    Aber woher sollte er so schnell eine Pik Vier nehmen? Es gab insgesamt drei. Die eine oder andere von ihnen mochte sich im Stapel mit den abgelegten Karten befinden, doch bestand durchaus die Möglichkeit, daß zumindest eine von ihnen in jenem Stapel war, mit dem sie gerade gespielt hatten. Und den hielt Micky in der Hand.
    Es war seine einzige Chance.
    Aller Augen waren auf Tonio gerichtet. Micky drehte den Stapel in seiner Hand um, so daß er die Karten erkennen konnte. Mit kaum wahrnehmbaren Daumenbewegungen schob er sie auseinander, bis von jeder einzelnen Karte eine Ecke sichtbar wurde. Während er nach außen hin so tat, als blicke er Tonio unverwandt ins Gesicht, behielt er gleichzeitig auch die Karten im Blickfeld, so daß er die Ziffern, Buchstaben und Symbole in den Ecken erkennen konnte.
    Tonio ließ nicht locker. »Schauen wir uns die abgelegten Karten an«, sagte er.
    Nun richteten sich die Blicke der Anwesenden auf Micky. Mit äußerster Konzentration setzte er seine Suche nach einer Pik Vier fort und hoffte inständig, es möge endlich eine erscheinen. Das Drama steuerte seinem Höhepunkt zu - und niemandem fiel in dieser Situation auf, was Micky tat. Die umstrittenen Karten befanden sich in dem Stoß, der auf dem Tisch lag; was Micky mit jenen Karten trieb, die er in der Hand hielt, war demnach scheinbar nebensächlich. Nur wer ihm ganz genau auf die Finger sah, hätte merken können, daß er den Stapel durchsuchte, und selbst dann wäre die böse Absicht nicht sofort erkennbar gewesen. Er konnte sich nicht unbegrenzt auf seine Spielerehre berufen. Früher oder später würde einer der Anwesenden die Geduld verlieren, sich über die Gebote der Höflichkeit hinwegsetzen und den Stapel mit den abgelegten Karten aufnehmen. Um ein paar wertvolle Sekunden zu gewinnen, sagte er:
    »Wenn du nicht wie ein Mann verlieren kannst, solltest du vielleicht nicht spielen.« Er spürte, wie ihm auf der Stirn der Schweiß ausbrach, und fragte sich, ob er in seiner Hektik womöglich eine Pik Vier übersehen haben konnte.
    »Nachsehen schadet ja nichts, oder?« sagte Solly versöhnlich. Dieser verdammte Solly ... Er ist immer so gräßlich vernünftig. Micky war dem Verzweifeln nahe. Da endlich fand er eine Pik Vier.
    Er ließ sie aus dem Stapel gleiten und bedeckte sie mit der Hand.
    »Bitte sehr«, sagte er mit gespielter Unbekümmertheit, die in totalem Gegensatz zu seiner wahren Verfassung stand. Es herrschte absolute Stille im Raum.
    Micky legte die Karten, die er heimlich durchsucht hatte, auf den Tisch, nur die Pik Vier hielt er in der Handfläche verborgen. Dann griff er nach dem anderen Stoß und ließ die Vier darauf fallen. Er legte den Stoß vor Solly auf den Tisch und sagte: »Unter den ersten
    Karten befindet sich eine Pik Vier, das garantiere ich euch.«
    Solly drehte die oberste Karte um. Alle erkannten die Pik Vier. Sofort erhob sich ein angeregtes Gemurmel. Die Spannung war gewichen.
    Micky hingegen litt noch immer Höllenqualen. Kam auch nur einer auf die Idee, die nächsten Karten ebenfalls umzudrehen, so flog der Schwindel doch noch auf. »Damit wäre die Sache wohl erledigt«, sagte Vicomte Montagne.
    »Und was mich betrifft, Miranda, so kann ich mich nur entschuldigen für alle eventuellen Zweifel an Ihrer Ehrlichkeit.«
    »Nett von Ihnen«, erwiderte Micky.
    Nun richteten sich aller Blicke auf Tonio. Er erhob sich mit verzerrtem Gesicht. »Ihr könnt mich mal«, sagte er und verließ den Raum.
    Micky sammelte die Karten ein, die auf dem Tisch lagen. Niemand würde je die Wahrheit erfahren.
    Seine Handflächen waren schweißnaß. Heimlich wischte er sie an seiner Hose ab. »Ich bedauere das Benehmen meines Landsmanns«, sagte er. »Wenn ich irgend etwas hasse, dann sind das diese Burschen, die nicht so Karten spielen können, wie es sich für einen Gentleman gehört.«
     
    In den frühen Morgenstunden wanderten Maisie und Hugh durch die noch unfertigen neuen Vorstädte Fulham und South Kensington gen Norden. Die Nachtluft war inzwischen warm und schwül geworden, der Himmel bezog sich, und allmählich verschwanden die Sterne. Sie gingen Hand in Hand, obwohl ihre Handflächen von der Hitze schweißfeucht waren. Maisie war verwirrt und glücklich.
    In dieser Nacht war etwas Seltsames geschehen. Sie begriff nicht, was es war, aber es gefiel ihr. Wenn in der Vergangenheit Männer sie geküßt und ihre Brüste berührt hatten, dann hatte sie das immer als Teil eines Geschäfts empfunden:

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