Die Pfeiler des Glaubens
die Lichtung – auch wenn sie nicht wusste, wohin sie gehen sollte.
»Zeig ihr, wie sie zum Camino de las Ventas kommt«, befahl Sobahet einem seiner Männer, als Aischa auf die unwegsamen Pfade in die Berge zusteuerte.
33
H ernando übergab Rodrigo einen prächtigen Dreijährigen mit auffälligen dunkelbraunen Flecken auf dem ansonsten schneeweißen Fell. Sobald die Pferde eingeritten waren und sich an die Enge des königlichen Marstalls gewöhnt hatten, wurden sie an andere Umgebungen herangeführt: Sie mussten das freie Feld kennenlernen, durch Flüsse waten und über Bachläufe springen, auf engen Wegen galoppieren und beim geringsten Zug am Zügel stehen bleiben. Auch die Stadt war vollkommen neu für sie: Sie mussten neben einer Schmiede stehen und den Lärm der donnernden Schläge auf das Eisen ertragen. Sie mussten durch Menschenmengen traben und durften weder vor flatternden Fahnen noch vor den frei herumlaufenden Hunden, Hühnern und Schweinen erschrecken. Sie mussten laute Musik und Fanfarenstöße aushalten. Was würde aus dem Tier, ganz zu schweigen von seinem Bereiter, wenn der König oder einer seiner Familienangehörigen, Bekannten oder Hausgeistlichen vom Pferd fiel, nur weil es beim hohen Klang der Pikkoloflöten, dem Donnern der Pauken einer Militärparade oder bei den Jubelrufen der Untertanen erschrak und sich aufbäumte?
An diesem Morgen brachen Rodrigo auf dem Gescheckten und Hernando zu Fuß in die Innenstadt auf, um das hitzige Jungtier all den neuen Reizen auszusetzen.
»Ich habe gesehen, wie du im Stall arbeitest und wie du mit den Pferden umgehst. Und ich muss sagen: Es gefällt mir«, sagte der Reiter, ehe er den Fuß in den Steigbügel setzte. »Heute werde ich sehen, ob du wirklich dieses besondere Gespür hast, von dem Don Diego gesprochen hat. Das Tier ist noch sehr jung, es wird immer wieder erschrecken. Dann musst du eingreifen und für die jeweilige Situation den richtigen Umgang mit dem Pferd herausfinden. Hast du verstanden, was ich meine?«
Hernando hielt eine lange, biegsame Gerte in der Hand und nickte.
»Wenn es mich abwirft«, erklärte Rodrigo weiter und machte es sich im Sattel bequem, »was bei diesen ersten Ausritten in die Stadt nicht selten vorkommt, kümmerst du dich um das Pferd. Was auch immer geschieht, egal, ob ich gegen eine Mauer geschleudert werde, das Pferd eine alte Frau niedertrampelt oder ein ganzes Geschäft zerstört, du musst verhindern, dass es flüchtet. Das Pferd darf keinen Schaden nehmen. Und noch etwas: Niemand, wirklich niemand – kein Corregidor, Büttel, Richter, Jurado oder Veinticuatro von Córdoba – hat das Recht, über die Pferde des Königs oder das Personal des königlichen Marstalls zu bestimmen. Deine Aufgabe besteht einzig und allein darin, dieses Pferd zu beschützen. Auch wenn mir etwas zustößt, bringst du das Tier unversehrt in den Stall zurück – egal, was passiert oder was man dir befehlen will.«
Hernando trat neben dem Reiter aus den Stallungen. Sobald das Tier einen Huf vor den Marstall gesetzt hatte, gab ihm Rodrigo kräftig die Sporen, damit es gar nicht erst über die vielen Menschen, die über den Campo Real gingen, und die unbekannten Gebäude staunen konnte. Das Jungtier sprang ins Freie, und Hernando hinterher. Ein aufregender Morgen begann. Der Reiter jagte den Gescheckten im Galopp durch die engen Gassen, preschte durch Menschenmengen und suchte Orte und Situationen, die das Tier besonders überraschen könnten. Hernando immer hinterdrein. Rodrigos Erfahrung und Mut machten das Einschreiten seines Helfers fast unnötig.
Nur einmal musste Hernando eingreifen. Rodrigo ließ das Pferd zu einem der vielen Schweine traben, die durch die Straßen liefen. Der imposante Eber ging sofort auf das Pferd los und zeigte seine Hauer. Im gleichen Moment machte der Gescheckte erschrocken kehrt, bäumte sich auf und warf seinen Reiter ab. Aber bevor das Pferd vor dem Schwein flüchten konnte, schlug Hernando ihm mit der Gerte auf die Flanken und zwang es, so lange vor dem Eber stehen zu bleiben, bis Rodrigo im Sattel saß und die Führung übernehmen konnte.
Als sie wieder beim Marstall angekommen waren, war Hernando genauso verschwitzt und außer Atem wie das junge Pferd.
»Gut gemacht«, lobte Rodrigo beide und lachte. Er saß ab und übergab Hernando das Pferd. »Morgen machen wir den nächsten Ausflug.«
Hernando führte den Gescheckten am Zügel zu den Ställen und übergab ihn dort einem Stallburschen. Er
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