Die Pfeiler des Glaubens
manchmal hatte er einen kurzen, bewundernden Blick auf die massiven Außenmauern gewagt: Sie schützten die einstige Gebetsstätte der Kalifen und der unzähligen Gläubigen, die Córdoba zu jenem mächtigen Leuchtturm gemacht hatten, dessen Licht des wahren Glaubens einst im ganzen christlichen Westen zu sehen war.
Bislang hatte Hernando sich nicht in diese ehemalige Hauptmoschee der Mauren hineingewagt. Denn in der Mezquita gab es inzwischen mehr als zweihundert katholische Geistliche – die Mitglieder des Domkapitels gar nicht mit eingerechnet –, und jeden Tag wurden in den zahlreichen neu errichteten Kapellen mehr als dreißig Messen abgehalten.
Durch die Puerta del Perdón mit ihren spitz zulaufenden Hufeisenbogen waren Hernando, Fatima und Abbas vom Strom der Menschen mitgerissen worden, die dem eigentlichen Eingang zur Kathedrale entgegenstrebten. Dazwischen lag der weitläufige Innenhof mit seinen alten Zypressen, Palmen und Orangenbäumen sowie einigen Brunnen.
Der Schmied konnte die Gedanken des jungen Mannes lesen, presste die Lippen zusammen und bedeutete ihm weiterzugehen. Fatima klammerte sich an Hernandos Arm.
Dieser große, rechteckige Innenhof war an drei Seiten von Bogengängen umschlossen, an der vierten Seite im Süden sah man hinter einer mit spitzen Zinnen besetzten Mauer die neue, noch im Bau befindliche Kathedrale aus der sich an den Innenhof anschließenden muslimischen Gebetshalle emporragen.
Im Schatten der alten Bäume erschauerten die drei Morisken beim Anblick der unzähligen Bußgewänder, die an den Mauern des Innenhofs hingen – ein deutlicher und öffentlicher Hinweis darauf, dass die Inquisition der Christen jegliche Gotteslästerung erkannte und ahndete. In maurischer Zeit hatte die Anlage für die rituellen Waschungen der Gläubigen gedient, mit zwei Räumen für die Frauen und zwei für die Männer. Kalif al-Hakam hatte sie an der Ost- und der Westseite errichten lassen. Damals war die große islamische Gebetshalle zum Hof hin offen, die Südfront wurde erst von den Christen zugemauert und mit einer weiteren Pforte – der Puerta de las Palmas – versehen.
Durch diesen Zugang gelangten Abbas, Fatima und Hernando schließlich ins Innere dieses einzigartigen Bauwerks. Ihre Augen mussten sich erst an das dämmrige Licht der Kandelaber an den niedrigen Decken gewöhnen, doch was sie dann vor sich sahen, verschlug ihnen den Atem: Vor ihnen öffnete sich ein Raum mit tausend Säulen, die durch kunstvoll übereinander liegende Doppelbogen miteinander verbunden waren – ein hypnotisierendes Farbenspiel aus roten Ziegeln und ockerfarbenem Stein! Der berühmte maurische Säulenwald der Mezquita von Córdoba!
»Es gibt keinen Gott außer Gott, und Mohammed ist der Gesandte Gottes«, flüsterte Fatima auf einmal, als würde sie von einer fremden, geheimnisvollen Macht zu diesen Worten gezwungen.
»Bis du verrückt geworden?«, zischte Abbas und drehte sich beunruhigt zu ihr um.
»Ja«, antwortete Fatima und schritt benommen ins Innere der Gebetshalle. In Gedanken versunken, strich sie über ihren gewölbten Bauch.
Abbas warf Hernando einen flehenden Blick zu.
»Denk an unser Kind!«, bat dieser flüsternd, als er Fatima eingeholt hatte und ihre Hand nahm. Sie schien wieder zu sich zu kommen. »Ich schwöre dir, dass wir eines Tages an dieser heiligen Stätte zu dem einzigen Gott beten werden. Ich schwöre es bei Allah«, flüsterte Hernando. Fatima schloss die Augen.
»Ibn Hamid«, sagte sie ohne jede Vorsicht, doch die Menschenmenge strömte unbeeindruckt an ihnen vorbei. Alle plauderten aufgeregt über das bevorstehende große Ereignis. »Denke immer an diesen Schwur, und halt dich daran, was auch geschehen mag.«
Abbas atmete erleichtert auf, als Fatima sich bei ihrem Mann einhakte.
Sie konnten die Kathedrale kaum betreten. Zu viele Menschen hielten sich bereits im Inneren des neuen Bauwerks der Christen auf, das von gewaltigen Pfeilern und Säulen im gotischen Stil gestützt wurde. Die Kathedrale war im Herzen der einstigen Hauptmoschee errichtet worden und ragte weit über das Dach der Gebetshalle hinaus, ganz so wie die Christen es sich für ihre Gotteshäuser wünschten. Dieses neue, beeindruckende Bauwerk, das selbst nach jahrelanger Arbeit noch nicht ganz fertiggestellt war, würde die kleinere Kirche ersetzen, die bereits in dem Teil der Mezquita erbaut worden war, um den Abd ar-Rahman II. – der vierte Emir von Córdoba – die Moschee einst erweitert hatte.
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