Die Pfeiler des Glaubens
als nützliches Mitglied der christlichen Gemeinde auswies. Hernando stellte bei dieser Gelegenheit überrascht fest, dass der misstrauische Geistliche der Kantor der Kathedrale war. Seine Aufgabe bestand unter anderem darin, sich um die Chorbücher zu kümmern, die an die Betstühle gekettet waren. Wenn sie beschädigt waren, musste er sie restaurieren lassen oder notfalls neue Bücher beschaffen. Don Salvador fragte immer wieder nach Hernandos Fortschritten bei der Übersetzerarbeit oder forderte dessen Kenntnisse der arabischen Sprache heraus, indem er nach diesem oder jenem christlichen Begriff auf Arabisch fragte. Meist überprüfte er dabei – mal verdeckt, mal ganz offen – Abbas’ Behauptung, dass Hernando ein guter Christ sei. Der Kantor der Kathedrale gab sich mit Hernandos Antworten zufrieden, zugleich bat der junge Moriske den Kantor immer wieder demütig und wissbegierig um Rat oder um Erklärungen. Dank der Unterstützung durch die Domherren gelang es Hernando schließlich, dass der Rat der Stadt ihm die Namen der Familien nannte, die seine Brüder zu Christen erziehen sollten. Doch als Hernando den Töpfer und den Bäcker aufsuchte, bei dem seine Brüder damals untergekommen waren, behaupteten die beiden frommen Christen, die dreckigen Heidenkinder seien geflohen. Als Beweis legten sie ihm die Anzeigen vor, die sie beim Rat der Stadt erstattet hatten. Hamid vermutete aber, dass sie – wie viele andere Christen – die Jungen einfach verkauft hatten. Schließlich wurden in allen spanischen Königreichen Kinder auf Sklavenmärkten versteigert, selbst wenn sie das von König Philipp dafür festgelegte Alter noch nicht erreicht hatten. Einige der versklavten Kinder reichten zwar später eine Klage ein, um ihre Freiheit wiederzuerlangen, aber die Verfahren waren langwierig und kostspielig. Im Fall von Aischas Söhnen ließ sich kaum etwas ausrichten, da weder bekannt war, wohin man sie gebracht noch an wen man sie verkauft hatte.
Aischa hatte diese Nachricht in tiefe Verzweiflung gestürzt. Ihre beiden Töchter waren in Juviles ermordet worden, und ihre Söhne hatte man in Córdoba als Sklaven verkauft! Nicht einmal der kleine Shamir konnte ihren Schmerz lindern.
»Nein, sie wird es so schnell nicht überwinden«, wiederholte Hernando traurig. Er begleitete Hamid gerade zurück zur Bordellgasse. »Und wie geht es dir?«, wagte er schließlich zu fragen, als sie nur noch wenige Schritte vor dem Holztor entfernt waren.
»Gut … hm … gut«, stammelte Hamid.
»Was ist los?«, fragte Hernando nach. Er blieb stehen. Er glaubte dem Alfaquí nicht.
»Junge, ich werde alt. Das ist alles.«
»Francisco!«
Hernando drehte sich bei dem vorwurfsvollen Schrei sofort um. Am Tor zur Bordellgasse stand eine große Frau mit fettigem Haar. Sie war völlig verschwitzt und hatte die Ärmel hochgekrempelt. »Wo hast du so lange gesteckt? Es gibt viel zu tun. Rein mit dir!«
Hamid wollte durch das Tor gehen, aber Hernando hielt ihn zurück.
»Wer ist das?«, fragte er.
»Jetzt mach schon, dämlicher Maure!«, keifte die Frau.
»Niemand … Sie ist die neue Sklavin, die sich um die Mädchen kümmert«, gestand Hamid schließlich.
»Heißt das …?«
»Junge, ich muss jetzt gehen. Friede sei mit dir.«
Hamid humpelte, ohne sich noch einmal umzusehen, davon. Die Frau stemmte die Hände in die Hüften und blickte ihm missmutig entgegen. Hernando sah, wie Hamid sich langsam voranschleppte. Als der Alfaquí an der Frau vorbeischlich, stieß diese ihn in den Rücken.
»Los, Alter, beeil dich!«, schimpfte sie.
Hamid strauchelte und wäre beinahe zu Boden gefallen.
Hernando hielt den Atem an. Er blieb stehen, bis sich das Tor zur Bordellgasse hinter der Frau schloss. Er meinte, dahinter noch weitere Schreie und Beschimpfungen zu hören. Eine neue Sklavin …
Einige Männer, die durch die Calle del Potro spazierten, rempelten ihn im Vorbeigehen an.
Was sollte nun aus Hamid werden? Hernando lief wütend und ohne Ziel durch die Straßen. Seit wann lebte er schon unter diesen Bedingungen? Wieso hatte er es nicht bemerkt? Wieso hatte er die tiefere Bedeutung des Schmerzes und des inneren Rückzugs nicht wahr genommen, die sein … Vater zeigte? Hatte ihn sein eigenes Glück so geblendet, dass er das Leid der anderen nicht mehr sah?
»Selbstsüchtiger Dummkopf!«
Der Ausruf überraschte einen der Wirte der Plaza del Potro, wohin Hernando unverhofft geraten war. Der Mann betrachtete den Neuankömmling einige
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