Die Pfeiler des Glaubens
Finger an die Lippen. Dann begleitete sie ihn in den Patio. Offensichtlich hatte Hamid Hernandos Forderungen und Wünsche, was den Ort des Unterrichts für die Kinder anging, über Bord geworfen. Er sollte sie in den Zimmern hinter verschlossenen Türen unterrichten, damit niemand sie Arabisch sprechen hörte. Hamid hatte zwar die Haustür abgeschlossen, aber seine Schüler saßen auf einfachen Matten auf dem Boden im Patio. Der Alfaquí brachte ihnen gerade das Rechnen bei.
Hernando wollte sich schon bei seiner Frau beschweren, als Fatima wieder nur einen Finger an die Lippen führte. Er schwieg.
»Hamid sagt«, erklärte sie ihm später, »dass das Wasser die Quelle allen Lebens ist. Er sagt, die Kinder lernen nichts in einem geschlossenen Raum, während das Wasser draußen plätschert. Sie brauchen den Duft der Blumen und den Umgang mit der Natur, damit sich ihre Sinne öffnen und sie das Wissen leichter aufnehmen können.«
Hernando seufzte. Die drei Kinder beobachteten ihn die ganze Zeit und lächelten glücklich. Hamid sah ihn nur verstohlen von der Seite an – wie ein großer Junge, der gerade bei einem Streich erwischt wurde.
»Hamid hat recht«, gab Hernando nach. »Wir sollten ihnen das Paradies nicht verwehren.« Er nahm Fatimas Hand. Hamid war ganz in seinem Element, und dieser kleine Anflug von Ungehorsam erfreute Hernando insgeheim.
Er begrüßte Shamir und seine Kinder auf Arabisch, doch dann forderten ihn die Kinder auf, nur noch zu flüstern. Er setzte sich zu ihnen auf die Matte und wandte sich an den Alfaquí.
»Salam aleikum«, grüßte er und senkte den Kopf.
»Aleikum salam, Ibn Hamid«, war die Antwort des Gelehrten. Während Aischa und Fatima das Abendessen zubereiteten, blieb Hernando im Patio. Er hörte Hamids Erklärungen und stellte bei den Kindern Fortschritte fest. Shamir erinnerte ihn an Ibrahim: Er war genauso widerspenstig und schlau, aber im Gegensatz zu seinem Vater ging er mit den jüngeren Kindern sehr herzlich um. Francisco – sein eigener Erstgeborener – war ein liebenswürdiger und kluger Junge, der jedoch leicht zu durchschauen war. Seine blauen Augen und seine Offenheit verrieten immer seine geheimsten Pläne. Francisco konnte einfach nicht lügen. Man sah ihm die kleinen Unwahrheiten jedes Mal an, und Hernando musste ihn deswegen immer wieder ermahnen. Nun saß er konzentriert da und starrte auf eine Wachstafel. Offensichtlich kam er beim Rechnen nicht weiter. Manchmal, so wie jetzt, wenn er zu sehr in eine Aufgabe vertieft war, ragte seine Zungenspitze ein kleines Stück aus seinem Mund heraus, und man musste ihn daran erinnern, nicht auf seine Zunge zu beißen: Hernando tippte schnell darauf, und sie verschwand augenblicklich. Nun beobachtete Hernando Inés, dabei bemerkte er, dass Hamid das Gleiche tat, als könnte er seine Gedanken lesen. Sie ähnelte Fatima so sehr … Sie war so wunderschön! Das Mädchen konzentrierte sich ganz auf das Schreiben der Ziffern, und ihre großen schwarzen Augen schienen die Tafel fast zu durchbohren. Inés war von Natur aus neugierig und stellte immer Fragen. Über die Antworten dachte sie immer genau nach und stellte dann – manchmal sofort, manchmal erst nach einigen Tagen – eine sich daran anschließende weitere Frage. Ihre Ideen waren stets durchdacht. Inés besaß in allem, was sie tat, eine elegante Langsamkeit, die ihr eine ganz besondere Ausstrahlung verlieh.
Hernando nickte als Zeichen der Zustimmung und lächelte nun Hamid an. Ja, dies war sein kleines Paradies: Die Tür zur Straße schirmte sie vor fremden Gefahren ab, das Plätschern des Wassers im Brunnen wirkte beruhigend, der Duft der Blumen war in der warmen Dämmerung besonders betörend, und die frische Abendbrise belebte die Sinne. Und trotzdem war es die gleiche Situation wie vor Jahren, als der Alfaquí den kleinen Jungen in seiner erbärmlichen Hütte irgendwo in den Ausläufern der Sierra Nevada unterrichtete. Es war ein langer Weg gewesen: das Aufwachsen ohne Vater, der Krieg, das Dasein als Sklave eines Korsaren, die Vertreibung in ein fremdes Gebiet, wo sie nur Hass und Unglück erlebten, die Armut, die harte Arbeit in der Gerberei, die Zeit der Wirrungen und die reumütige Rückkehr in ihre Gemeinschaft, das Glück der Anstellung im Marstall und die Entwicklung zum bedeutendsten Mitglied ihrer Gemeinde und jetzt … Die beiden Männer ließen zugleich ihre Blicke auf den drei Kindern ruhen, und Hernando wurde von einem Schauder der Zufriedenheit
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