Die Pfeiler des Glaubens
niemand konnte dem alten Mann einen Vorwurf machen, wenn er diesen andauernden Qualen nicht mehr trotzen könnte und das preisgäbe, was sie von ihm forderten. Es war ein quälendes Wechselbad der Gefühle: Stolz, Schuld, Angst zerrten an ihm, als wäre er eine Marionette. Dann eine weitere Frage, ein erneuter Zug am Seil, ein Schrei …
Kaum zu Hause angekommen, berichtete ihm ein junger Mann, den Jalil geschickt hatte, von Hamid. Fatima und Aischa saßen am Boden und weinten, die Kinder fest in die Arme geschlossen.
Er konnte einfach keinen weiteren Schmerz mehr ertragen!
»Sag, dieser Bäcker«, brachte Hernando mit belegter Stimme heraus, »hieß er Cristóbal Escandalet?«
»Ja.«
Hernando schüttelte langsam den Kopf. Hatte Hamid etwa gar nicht mit Abbas geredet?
»Dieser Mann war ein Spitzel und Verräter«, bestätigte er dem jungen Mann. »Er war es, der Karim bei der Inquisition angezeigt hat. Alle Glaubensbrüder sollen wissen, warum unser weiser Alfaquí so gehandelt hat! Er hat ihn gerichtet, er hat sein Urteil gesprochen, und er hat es selbst vollstreckt. Auch die Familie des Bäckers soll das erfahren!«
Hernando zog sich in sein Zimmer zurück und weinte, er wollte beten und fasten. Wer würde nun das Zimmerchen im Erdgeschoss bewohnen? Wer würde sich nun vor den Kerben verbeugen, die die Qibla anzeigten? Hamid hatte sie ihm gezeigt, stolz auf seine Tat. Hamid, der Alfaquí, von dem er alles gelernt hatte und dessen Namen er trug: Hamid ibn Hamid, Sohn des Hamid!
Ein Schleier aus Tränen trübte seinen Blick. Dann erschütterte sein Schrei das gesamte Viertel Santa María.
»Vater!«
Die Büttel schleppten Karim herbei, sein Kopf hing schlaff nach vorne, und seine Füße schleiften über den Boden, als sie ihn den Inquisitoren vorführen wollten.
Sie versuchten, ihn aufrecht vor den Lizentiaten Portilla zu stellen, und der Scharfrichter packte Karims schütteres graues Haar und riss seinen Kopf nach oben, damit man sein Gesicht sah. Der Inquisitor schnaubte wütend. Er gab sich geschlagen.
Hernando betrachtete Karim: Seine violett unterlaufenen Augen waren eingefallen und schienen bereits hinter die Wände dieses Verlieses zu sehen. Vielleicht erblickten sie den nahenden Tod, vielleicht sahen sie das Paradies. Gab es jemanden, der das Paradies mehr verdient hätte als dieser rechtschaffene Gläubige? Da bewegten sich Karims aufgesprungene Lippen.
»Ruhe!«, forderte der Inquisitor.
Karims Stammeln klang wie ein fernes Rauschen, in seinem Delirium sprach er Arabisch.
»Was sagt er?«, brüllte der Inquisitor Hernando an.
Hernando spitzte die Ohren, er wusste, dass ihn der Lizentiat Portilla genau beobachtete.
»Er ruft nach seiner Frau.« Hernando meinte den Namen Amina gehört zu haben. »Ana«, log er schnell, »anscheinend heißt sie Ana.«
Karim flüsterte unaufhörlich vor sich hin.
»Wieso braucht er so viele Worte, um nach seiner Frau zu rufen?«, fragte der Inquisitor misstrauisch.
»Er zitiert Gedichte«, erklärte Hernando dem Notar. Ihm war, als hörte er die alten Gedichte – Verse, die in die Wände der Alhambra von Granada eingemeißelt waren. »Sie gleicht der Gattin in reizender Erhabenheit … sie zeigt sich dem Gatten in verführerischer Schönheit«, zitierte er weiter.
»Frag ihn nach seinen Komplizen. Vielleicht ist jetzt der richtige Zeitpunkt.«
»Wer sind deine Komplizen?«, fragte Hernando, ohne Karim anzusehen.
»Auf Arabisch, Dummkopf!«
»Wer sind …«, begann er die Frage auf Arabisch, doch dann hielt er plötzlich inne. Außer Karim verstand hier niemand ihre Sprache! »Gott hat Gerechtigkeit walten lassen«, berichtete er ihm nun auf Arabisch. »Der Verräter unseres Volkes wurde nach den Vorschriften unseres Rechts bestraft. Hamid aus Juviles hat dies übernommen. Du wirst den heiligen Alfaquí im Paradies wiedersehen.«
Portilla wurde misstrauisch, der Wortschwall des jungen Morisken schien ihm eindeutig zu lang. In dem Moment leuchteten die Augen des alten Mannes kaum wahrnehmbar auf, und seine Lippen verzogen sich zu einer Grimasse, die ein Lächeln werden sollte. Dann atmete er aus, ein letztes Mal.
»Beim nächsten Autodafé wird er in effigie verbrannt«, urteilte der Inquisitor. »Was hast du noch zu ihm gesagt?«, fragte er Hernando.
»Dass er ein guter Christ sein soll«, antwortete er, ohne mit der Wimper zu zucken. »Dass er gestehen soll, was Ihr wissen wollt, und dass er sich mit der Kirche aussöhnen soll, um die Gnade Unseres
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