Die Pfeiler des Glaubens
Seite springen, als Hamid dem überraschten Cristóbal das siedende Öl ins Gesicht schüttete. Der Bäcker heulte auf und führte seine Hände zum Gesicht, ehe er auf die Erde fiel und sich vor Schmerzen krümmte. Der Geruch nach versengter Haut hing in der Luft. Mit der Pfanne in den Händen ging der Alfaquí zum Stand des Messerschmiedes. Die Leute machten ihm Platz, und auch der Schmied trat zur Seite, als er den verrückten Alten direkt auf sich zukommen sah, der ihm womöglich das restliche heiße Öl ins Gesicht schleudern wollte. Da warf Hamid die Pfanne auf den Boden, nahm sich ein großes Messer und ging damit zurück zum jammernden Bäcker.
Die Schaulustigen hielten den Atem an.
Hamid kniete sich neben Cristóbal, der mit dem Rücken auf der Erde lag und sein Gesicht hinter den Händen verbarg. Er heulte und schrie. Hamid durchtrennte ihm zunächst mit festen Hieben die Unterarme, und der Bäcker brüllte so entsetzt auf, dass es den Leuten durch Mark und Bein ging. Dann fuhr der Alfaquí mit dem Messer in den Hals des Verräters. Der Schnitt ging tief, er war mit sicherer Hand und der geballten Kraft eines betrogenen Volkes ausgeführt. Hamid stand auf – blutüberströmt. Er hielt immer noch das große Messer in der Hand, als plötzlich ein Büttel mit gezücktem Schwert vor ihm stand.
»Verdammte Ungläubige!«, schrie Hamid, und all die Verbitterung, die er im Laufe seines Lebens unterdrückt hatte, brach aus ihm heraus.
Der Büttel stieß Hamid seine Waffe in den Bauch.
Die Alpujarras, die schneebedeckten Gipfel der Sierra Nevada, die klaren Flüsse und die felsigen Schluchten, die kleinen fruchtbaren Terrassenfelder in den Bergen, die Arbeit auf dem eigenen Stück Land, die nächtlichen Gebete … Hamid sah alles ganz deutlich vor sich … Er fühlte keinen Schmerz … Hernando, sein Sohn! … Aischa, Fatima, die Kinder … Er fühlte noch immer keinen Schmerz, als der Büttel die Waffe wieder aus seinem Körper zog. Das Blut pulsierte aus seinen Eingeweiden, und Hamid blickte an sich herunter. Es war das Blut, das Tausende Muslime vergossen hatten und vergießen würden, um ihre Gesetze zu verteidigen.
Der Büttel blieb vor ihm stehen, er ging fest davon aus, dass dieser Alte auf der Stelle zusammenbrechen würde. Die Leute beobachteten die Szene gebannt.
»Es gibt keinen Gott außer Gott, und Mohammed ist der Gesandte Gottes«, sprach Hamid erhaben.
Sie durften ihn nicht festnehmen. Sie durften nicht erfahren, wer er war. Er durfte seine Familie keinesfalls gefährden. Er hielt das Messer in die Luft und hinkte langsam zum Fluss hinter dem Cruz del Rastro. Die Leute machten ihm den Weg frei, und der Büttel ging langsam hinter ihm her. Der Alte musste doch zusammenbrechen! Hamid hinterließ eine rote Blutspur. Alle blieben vom Anblick des Alten überwältigt stehen, der feierlich zum Ufer schritt.
»Nein!«, schrie der Büttel, als er Hamids Absicht endlich erkannte. Aber in dem Moment ließ sich der Alfaquí auch schon in den Guadalquivir fallen und verschwand in seinem Wasser.
Hernando konnte keinen weiteren Kummer verkraften. Er kam gerade vom Alcázar nach Hause, wo die Folter nur eine einzige sinnlose Qual gewesen war: Der alte Mann hatte die Namen seiner Mittäter für sich behalten, und selbst der Scharfrichter wagte es schließlich, die Inquisitoren auf die Sinnlosigkeit ihres Unterfangens hinzuweisen.
»Mach weiter!«, rief ihm der Lizentiat Portilla dennoch zu.
Sie zwangen Hernando, dem Gräuel beizuwohnen. Als er die Folterkammer betreten hatte, in der die Inquisitoren Karim unaufhörlich quälten, um die Namen seiner Komplizen aus ihm herauszupressen, hatte ihn wieder die schiere Panik ergriffen. Es war schließlich sein Name, den der alte Mann hartnäckig für sich behielt! Er roch sein Blut und seinen Urin, er sah die vor Schmerz verkrampften Muskeln zucken, er hörte sein mattes Röcheln, das noch grausamer klang als jeder Schmerzensschrei, und er vernahm sein Schluchzen und Stöhnen in den kurzen Unterbrechungen seiner Qualen. Doch Karims Sieg über die Inquisitoren machte ihn zugleich auch stolz und stark. Der alte Mann verteidigte trotz aller Brutalität noch immer ihr Volk und ihre Gesetze! Doch sofort beschlich ihn wieder ein unerträgliches Schuldgefühl. Und zuweilen schauderte ihn beim Gedanken daran, dass Karim nachgeben und mit dem Finger auf ihn zeigen könnte: Er! Er ist derjenige, den ihr sucht! Er selbst könnte der Nächste sein. Und niemand, wirklich
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