Die Pfeiler des Glaubens
beim Provisor für ihn einzusetzen. Im Hof erwartete ihn Aischa, die Don Julián hatte benachrichtigen lassen.
»Wir fliehen zu den Barbaresken«, flüsterte Hernando seiner Mutter zu, nachdem er ihr alles erzählt hatte. In der Dunkelheit konnte er nicht erkennen, dass Aischa erstarrte.
»Ich bin zu alt für solche Abenteuer«, gab sie vor.
»Mutter, ich bin jetzt sechsundzwanzig Jahre alt. Bei meiner Geburt warst du ein Mädchen von vierzehn Jahren. Du bist nicht zu alt! Zuerst fliehen wir nach Granada, und von dort aus wird es uns schon gelingen, mit einer Fuste nach Tetuan überzusetzen.«
»Aber …«
»Wir haben keine andere Wahl! Oder willst du, dass ich dem Grafen in die Hände falle? Wir müssen ohnehin erst noch abwarten, dass die Männer des Grafen nachlässig werden und mich nicht mehr so scharf bewachen. Dann musst du bereit sein.«
Trotz der Aufregung über die Nachricht hatte Aischa in der Eile etwas zu essen mitgebracht: Brot, ein Stück Lammfleisch und Obst. Wasser spendeten die Brunnen im Innenhof genug. Als Aischa sich schließlich von ihrem Sohn verabschiedete, ging gerade das Abendgebet zu Ende. Sie war sehr bedrückt durch das große Tor geschlichen, und Hernando wunderte sich, warum sie der Fluchtplan alles andere als aufzuheitern schien. Die Pförtner verschlossen die Zugänge zur Gebetshalle, und alle Leute, die in der Kirche Asyl gefunden hatten oder auch nur herumstreiften, ließen sich in dem weitläufigen Innenhof nieder. Mit Ausnahme der Bereiche um die Puerta del Perdón, den Glockenturm und dem Gebäudeabschnitt, der dem Konsistorium des Erzdiakons vorbehalten war, durften sich die Schützlinge der Kirche in den offenen Bogengängen zum Hof aufhalten und dort Unterschlupf vor den kalten Nächten suchen.
»War das deine Mutter?«
Hernando drehte sich um. Vor ihm stand Pérez. Angesichts der überraschenden Kontakte des Neuankömmlings zu führenden Kirchenmännern hatte er entschieden, ihn in seine Bande aufzunehmen – womöglich könnte er ihnen nützlich sein.
»Ja.«
»Komm zu uns. Wir haben noch ein wenig Wein.«
Hernando nickte und folgte Pérez über den Hof.
»Weshalb nennen dich alle › Buceador ‹ ?« Hernando hatte schon den ganzen Tag über den Spitznamen nachgedacht.
»Weil ich ein Taucher bin«, antwortete der blonde Mann und grinste. »Genau. Ich arbeite – nein«, verbesserte er sich, »ich habe für einen baskischen Kapitän gearbeitet, der vom König die Genehmigung hat, versunkene Schiffe und ihre Schätze vor der spanischen Küste zu bergen. Aber wir hatten Streit wegen ein paar Goldmünzen, die ich weit weg von einem Wrack vor Cádiz gefunden habe«, sagte er und schnalzte mit der Zunge. »Ich bin abgehauen und habe es gerade noch hierhergeschafft, bevor mich seine Leute erwischt haben.«
Nun erklärte ihm Pérez mit vielen Worten und nicht weniger Gesten, wie dieser seltsame Bronzeapparat funktionierte, mit dem die Taucher auf den Meeresboden gelangten, um die Schätze zu heben. Doch Hernando hatte das Prinzip noch immer nicht begriffen, als sie bei dem Säulengang angekommen waren.
»Mach dir nichts draus«, beruhigte ihn ein Fremder. Er hatte eine gebrochene Nase inmitten der sonst geraden Gesichtszüge und trug ein rotes Tuch um den Kopf gebunden. »Bis jetzt hat keiner von uns verstanden, was es mit diesem Bronzeding auf sich hat. Wahrscheinlich ist alles nur ein Lügenmärchen. Ich bin übrigens Luis.«
Pérez trat mit dem Fuß nach ihm, aber Luis wich ihm geschickt aus.
Im matten Licht der Fackeln an den Wänden der Säulengänge saßen weitere sechs Männer am Boden. Sie ließen eine Lederflasche mit Wein kreisen und teilten die Speisen untereinander auf, die ihnen ihre Angehörigen und Freunde gebracht hatten.
»Herzlich willkommen im Gang der Kinder. Ich bin Juan«, begrüßte ihn ein blonder Mann mit glattem Haar und machte neben sich Platz.
In dem Säulengang saßen noch weitere Männer in Grüppchen zusammen.
»Gang der Kinder?«, fragte Hernando erstaunt und setzte sich.
»Weißt du«, setzte Juan zu einer Erklärung an. Er war eigentlich Chirurg, hatte aber versucht, sein Einkommen als Arzt durch ein paar undurchsichtige Geschäfte aufzubessern, und musste schließlich vor der Justiz flüchten, nachdem ihn einige Witwen angeklagt hatten. »Früher wurden hier am Tor die Findelkinder abgelegt. Und genau hier«, er deutete auf den Säulengang, »schliefen sie in ihren Wiegen, bis eines Nachts eine Schweineherde eindrang und
Weitere Kostenlose Bücher