Die Pfeiler des Glaubens
um aus der Ferne die Stadt der Nasriden in Ruhe zu betrachten. Er ließ Isabel hinter sich. Doch die Wolken über den Bergen, aus deren wunderlichen Formen und Farben die Alten ihre Weissagungen schöpften, zeigten ihm nun Fatimas Gesicht.
Jemand, wohl Don Sancho, räusperte sich hinter ihm – vielleicht damit er die Heimreise fortsetzte. Neuerdings verhielt sich der Hidalgo ihm gegenüber äußerst distanziert und wortkarg. Hernando ließ sich nicht beirren, er starrte auf eine Wolke, die ihm ein Lächeln zu schenken schien.
»Reitet schon vor. Ich hole Euch schon ein«, sagte er.
Inzwischen waren drei Jahre vergangen, seit Ubaid Fatima und die Kinder umgebracht hatte. Drei Jahre! Hernando weinte nicht mehr, denn weder Tränen noch Schmerz konnten die Erinnerung an das fröhliche Lachen seiner Frau, die sanften Worte seiner Tochter und die freimütigen blauen Augen seines Sohnes trüben. Er sah zu der Wolke hinauf und verfolgte ihren Lauf am Himmel, bis sie mit einer anderen Wolke verschmolz.
Der Kammerherr des Herzogs von Monterreal hieß José Caro und war etwa vierzig Jahre alt, zehn Jahre älter als Hernando. Er war ein hochmütiger Mann, aber bei seinen Aufgaben überaus gewissenhaft, wie es sich für eine Person ziemte, die Don Alfonso bereits als Page gedient hatte. Der Kammerherr, über dem in der Hierarchie der Hofämter nur noch der Kaplan und der Sekretär standen, kümmerte sich um die Garderobe sowie alle privaten Angelegenheiten des Herzogs, zudem um die Einrichtung und Haushaltung des Palastes. Also war José Caro der Mann, den Hernando für die Stoffe des Webers interessieren musste, aber in den drei Jahren, die er nun schon im Palast lebte, hatte er mit ihm kaum ein Dutzend Worte gewechselt.
Hernando traf den Kammerherrn an einem Nachmittag in einem der Säle an. Er trug wie üblich seine makellose Livree und überwachte einen Tischlermeister, der eine Anrichte ausbesserte. Neben ihm stand ein junges Hausmädchen, das die Hobelspäne mit Schaufel und Besen auffing, noch ehe sie auf den Fußboden fielen.
Hernando blieb in der Tür stehen »Es ist wichtig für mich, dass Ihr zum Laden von Meister Juan Marco geht …«, wollte er sagen. »Es ist wichtig für mich …« Nein! »Ich würde mich freuen, wenn …« »Ich bitte Euch …« Warum? Was sollte er dem Kammerherrn antworten, wenn er den Grund wissen wollte? »Weil ich ein Freund des Herzogs bin«, könnte er ihm antworten, »schließlich habe ich ihm das Leben gerettet.« Nein. Don Sancho hatte ihm einiges beigebracht, aber in keiner seiner Lektionen war es darum gegangen, wie man sich mit dieser Autorität an die Dienerschaft wandte, die ihnen angeboren schien. Hernando überlegte, den Hidalgo als Mittler einzusetzen, aber seit ihrer Auseinandersetzung wegen Isabel hatten sie kein Wort mehr miteinander gesprochen.
Plötzlich fühlte er sich beobachtet. Der Kammerherr fixierte ihn mit seinem Blick.
»Guten Tag, José«, grüßte er den Kammerherrn mit einer Miene, die ein Lächeln andeuten sollte.
Das Mädchen hörte auf zu kehren und drehte sich verwundert um. José senkte kurz sein Haupt, und das Mädchen widmete sich wieder den Abfällen der Tischlerarbeit.
Die Überraschung, die dem Mädchen immer noch ins Gesicht geschrieben stand, brachte ihn durcheinander, und Hernando ließ von seinem Vorhaben ab. Nun rächte sich, dass er in den letzten drei Jahren im Palast kaum Kontakte gepflegt hatte. Er machte kehrt und schlenderte eine Weile durch die Patios des Palastes, bis er das Mädchen wiederentdeckte.
»Komm her«, bat er sie. Hernando wühlte in seinem Geldbeutel. »Hier, nimm.« Er gab dem Mädchen eine Zwei-Reales-Münze. »Ich will, dass du den Kammerherrn überwachst und mir Bescheid sagst, wenn er nachts den Palast verlässt. Hast du mich verstanden?«
»Ja, Don Hernando.«
»Geht er nachts weg?«
»Nur, wenn Seine Hoheit nicht im Haus ist.«
»Gut. Wenn du den Auftrag erfüllst, gebe ich dir noch mehr Geld. Du findest mich nach dem Abendessen immer in der Bibliothek.«
Das Mädchen nickte, offensichtlich kannte sie seinen Tagesablauf.
Hernando ritt jeden Tag aus. Er achtete darauf, noch vor den Hidalgos aufzustehen, die für gewöhnlich erst am späten Vormittag frühstückten, vor allem aber ging es ihm darum, Doña Lucía aus dem Weg zu gehen. Don Sancho musste der Herzogin von seinem Liebesabenteuer mit Isabel berichtet haben, denn anders konnte er sich den offenen Hass, der ihrer üblichen Verachtung inzwischen
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