Die Pfeiler des Glaubens
verursachte, ihre Kinder zu verlieren. Sie verstand die Gefühle dieser Christin nur zu gut, sie konnte ihren Kummer mitfühlen, dafür musste sie nur an ihren Erstgeborenen denken, für dessen Tod die Christen die Schuld trugen. Allein die Erinnerung daran brachte sie in Rage. Dies war eine Christin! Sie hatte kein Mitleid verdient. »Ich habe es selbst gesehen! Sobald sie ihre Dokumente überprüfen und feststellen, dass sie keine Moriskin, sondern eine Christin ist, wird man sie verhaften und anklagen, weil sie vom Glauben abgefallen ist, und ihr die Kinder wegnehmen.«
Rafaela schlug die Hände vors Gesicht.
»Hunderte Soldaten bewachen das Gelände«, sagte Fatima noch.
Rafaela schluchzte. Die Welt um sie herum schien über ihr zusammenzubrechen. Die Erschöpfung, die fürchterliche Überraschung, alles kam in diesem Moment zusammen. Sie spürte, wie ihr die Beine wegsackten und ihr die Luft wegblieb. Sie hörte nur noch die Worte dieser Frau, sie wurden immer unverständlicher, sie klangen immer weiter weg.
»Ihr habt keine Wahl. Aus El Arenal führt kein Weg hinaus … Nur ich kann euch helfen…«
Rafaela unterdrückte ein Stöhnen, dann fiel sie in Ohnmacht.
Die Kinder eilten zu ihr, doch Hernando schob sie zur Seite und kniete neben seiner Frau nieder.
»Rafaela!«, rief er, »Rafaela!«
Er sah in seiner Verzweiflung Hilfe suchend um sich. Nur einen Augenblick kreuzten sich dabei Fatimas und sein Blick, aber dieser flüchtige Moment genügte, und Fatima verstand – noch vor Hernando –, dass sie ihn verloren hatte.
»Verlass mich nicht«, flehte Rafaela, noch halb benommen, »lass mich nicht allein, Hernando.«
Fatima, Miguel und die Kinder beobachteten aus einiger Entfernung das Paar am Uferrand, wohin Hernando seine Frau getragen hatte. Rafaelas Gesicht war blass, und ihre Stimme zitterte, sie wagte nicht einmal, ihn anzusehen.
Hernando spürte noch immer Fatimas Berührung auf seiner Haut. Eben erst hatte er sie begehrt, er hatte sogar – einige wenige Augenblicke lang – von dem Leben geträumt, das sie ihm versprach. Doch jetzt … Er betrachtete Rafaela: Tränen rannen über ihre Wangen und mischten sich mit dem Staub auf ihrem Gesicht. Er bemerkte das Beben von Rafaelas Kinn und wie sie ihr Schluchzen unterdrückte, als wollte sie ihm den Eindruck einer harten, entschiedenen Frau vermitteln. Hernando presste die Lippen zusammen. Nein, das war sie nicht: Sie war das Mädchen, das er vor dem Kloster bewahrt hatte und das mit der Zeit sein Herz gewonnen hatte. Sie war seine Ehefrau.
»Ich werde dich niemals verlassen«, hörte er sich selbst sagen.
Er griff behutsam nach ihren Händen und küsste sie. Dann schlang er seine Arme um sie.
»Was sollen wir machen?«, hörte er sie fragen.
»Mach dir keine Sorgen«, flüsterte er.
Längst umringten sie ihre Kinder.
»Ich habe jetzt etwas zu erledigen …«, setzte Hernando an.
Miguel hielt etwas Abstand von der Familie, als Hernando wieder zu Fatima ging.
»Ich bin nach Sevilla gekommen, um dich zu suchen, Hamid ibn Hamid«, empfing sie ihn mit ernster Miene. »Ich dachte, Gott …«
»Gott wird bestimmen.«
»Täusche dich nicht, Gott hat bereits das hier bestimmt«, sagte sie und zeigte auf die Menge, die sich auf dem Gelände von El Arenal drängte.
»Mein Platz ist bei Rafaela und den Kindern«, entgegnete Hernando. Sein entschiedener Tonfall ließ keinen Widerspruch zu.
Fatima zitterte am ganzen Leib. Ihr Gesicht war zu einer schönen Maske versteinert.
»Ich weiß, dass du mich liebst.«
Nach diesen Worten drehte sie sich um und ging davon.
»Warte«, bat Hernando. Er lief zu den Pferden und hastete dann mit einem kleinen Bündel in der Hand zurück. Als er wieder neben ihr stand, wühlte er immer noch darin. »Das gehört dir«, sagte er und überreichte ihr das goldene Amulett. Fatima griff mit zitternden Händen danach. »Und das hier«, Hernando übergab ihr die alte Abschrift des Barnabas-Evangeliums aus der Zeit von al-Mansur, »ist eine sehr wertvolle Schrift. Sie stammt aus alter Zeit, und sie gehört unserem Volk. Ich wollte sie dem Sultan zukommen lassen.« Fatima nahm die Blätter nicht entgegen. »Ich weiß, dass du dich betrogen fühlst. Du hast recht. Es wird schwer sein, von hier zu fliehen. Aber ich werde es versuchen, und wenn mir die Flucht gelingt, werde ich in Spanien weiterhin für den Glauben an den einzigen Gott und für den Frieden zwischen unseren Völkern kämpfen. Du musst mich verstehen: Ich
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