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Die Pforte

Die Pforte

Titel: Die Pforte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Lee
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getroffen wie ein Schlag in die Magengrube. Und dann hatte sie sofort angefangen, im Stillen nach mildernden Umständen zu suchen, nach rationalen Erklärungen, um ihm das, was er zu einem früheren Zeitpunkt in seinem Leben getan hatte – was er früher einmal gewesen war   –, nicht vorwerfen zu müssen. Ein Wunder eigentlich, dass sie ihre Gedanken nicht laut ausgesprochen und sich damit vor ihren Leuten zum Gespött gemacht hatte.
    Und dann war da noch die andere Angelegenheit, an die sie kaum zu denken wagte. Die alles andere überragte.
    Ihr Vater.
    Abgesehen von ihrer ersten, spontanen Reaktion auf der Lichtung hatte sie seither kein einziges Mal geweint. Sie hatte sich bemüht, nach Kräften bemüht. Sich zumindest einzugestehen, dass es tatsächlich passiert war. Bisher mit wenig Erfolg. Es war immer noch zu groß, zuunmittelbar – ein Geschehen, so ungeheuerlich, dass sie innerlich davor kapitulierte.
    Das würde schon werden, mit der Zeit. Erzwingen ließ sich hier offensichtlich gar nichts.
    Vermutlich würde es nicht schaden, wenn sie jetzt selbst erst mal ein wenig schlief. Sie stand auf und verließ den Raum, um sich selber ein ruhiges Plätzchen zu suchen.
     
    Travis spürte, wie ihn jemand leicht an der Schulter rüttelte. Hatte er überhaupt geschlafen? Es fühlte sich kaum danach an. Er schlug die Augen auf und sah Paige, die über ihm aufragte, vom Licht der Deckenlampen in dem kleinen Raum umstrahlt. Draußen herrschte dunkle Nacht, in der nur alle paar Sekunden das Positionslicht auf der Steuerbordseite des Flugzeugs aufleuchtete.
    «Wir landen in fünf Minuten», sagte Paige.
    Travis nickte. Sie ging aus dem Raum, um draußen im Flur mit jemandem zu reden.
    Das Flugzeug ging in einen steilen Sinkflug über, und draußen kam jetzt das Ziel in Sichtweite: der Schweizer Luftwaffenstützpunkt Meiringen. Die Landebahn war denkbar knapp zwischen die Berge gezwängt, ein Anblick, der auf ungute Weise vertraute Erinnerungen weckte.
    Zehn Minuten später trat Travis aus dem Flugzeug hinaus in die empfindlich kühle Luft. Am wolkenlosen Nachthimmel über den Bergen glitzerten hell und klar die Sterne.
    Ein großer Hubschrauber mit Tandem-Rotoren – hieß dieser Typ nicht Chinook? – erwartete sie mit bereitsheulenden Motoren. Die Truppe schleppte ihre Ausrüstung hinüber, und schon nach fünf Minuten befanden sie sich wieder in der Luft. Sie flogen hoch über den Bergen nach Norden, mit Kurs auf Zürich. Mit Kurs auf die Theaterstraße sieben und alles, was sie dort erwarten mochte.

22
    In Zürich sah es ungefähr so aus, wie Travis es sich vorgestellt hatte. Er saß neben Paige in dem Geländewagen am Ende der Fahrzeugkolonne, die bergab in Richtung Innenstadt unterwegs war. Unter dem schwarzen Himmel zeichneten sich fest und groß die Silhouetten jahrhundertealter Häuser ab, die in versetzter Ordnung die Straßen säumten, die zum Fluss hinabführten. Über die Häuser weiter unten, in unmittelbarer Nähe des Flusses, hatte sich dichter Nebel herabgesenkt, durch die Straßen dort waberten graue Dunstschwaden. Die Fahrzeugkolonne tauchte in das Nebelmeer ein und bog dann scharf nach links ab, in die Theaterstraße.
    Rechts vor ihnen, direkt am Fluss, ragte das einzige achtstöckige Gebäude weit und breit in die Höhe. Bei Paige und den anderen im Wagen löste sein Anblick umgehend eine wenn auch fast unbewusste Reaktion aus: Hände zurrten spontan die Schnallen der Schutzwesten aus Kevlar fester. Spannten sich fester um Gewehrgriffe. Finger trommelten nervös auf Armstützen herum.
    Die Kommandoangehörigen hatten ihre Ausrüstung an Bord des Chinook angelegt. Auch für Travis hatteman eine Montur dabei. Neben der Schutzkleidung trug er nun auch eine kleine Kommunikationseinheit am Ohr, bestehend aus Ohrknopf und Mikro, die immer angeschaltet blieb und ihn mit dem Rest der Truppe verband. Ein Gewehr hatte man ihm ebenfalls ausgehändigt, vom selben Typ wie ihre Waffen. Vom selben Typ wie das Gewehr, mit dem er bereits in Alaska getötet hatte, auf matschiger Erde kniend.
    Paige rief per Handy in Border Town an, um den neuesten Stand durchzugeben. Seit der Landung in Meiringen hatte sie sich alle fünf Minuten dort gemeldet. In dreißigtausend Fuß Höhe kreiste ein AWAC S-Aufklärungsflug zeug über Zürich. An den Berghängen links und rechts der Stadt hielten sich auf Parkplätzen sechs Kampfhubschrauber in Bereitschaft. Im Umkreis von fünfzig Meilen kreisten Kampfflugzeuge vom Typ F-18 am

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