Die Pforten der Ewigkeit
er dorthin tragen wollte: Er hat sie nur einem einzigen Menschen verraten, und das war nicht ich.«
»Seinem Vater, Graf Anshelm.«
Ulrich schüttelte den Kopf. »Seiner Schwester«, sagte er.
Rogers dachte an die Häufchen Knochen, die er, Walter und Godefroy in der Kapelle im Wald gefunden und begraben hatten. Er biss die Zähne zusammen und versuchte sich seine Enttäuschung nicht anmerken zu lassen.
»Aber er hatte doch Vertrauen zu Euch, Herr Ulrich?«, fragte Sariz.
Ulrich sah verletzt aus, aber er beantwortete die Frage wahrheitsgemäß. »Alles Vertrauen, das zwischen Herr und Knappen herrschen muss. Doch es gab einen Menschen, der ihm näher stand als jeder andere. Er und seine Schwester waren Zwillinge, müsst Ihr wissen. Es gibt Leute unter den Romchristen, die sagen, dass Zwillingskinder Teufelskinder sind, und manchmal wird ein Zwilling nach der Geburt getötet. Aber Graf Anshelm und Gräfin Jonata haben schon anders gedacht, als sie noch nicht auf die Seite des wahren Glaubens gewechselt waren. Sie waren immer der Meinung, dass Hertwigs Schwester etwas Besonderes sei, besonders als sich herausstellte, dass sie … anders war.«
»Eine Närrin?«, fragte Rogers unwillkürlich und wurde sich des vorwurfsvollen Blicks seiner Mutter bewusst. Seine Gedanken waren immer noch bei den traurigen menschlichen Überresten in der Kapelle. Welche Menschen mussten die Mörder gewesen sein, wenn sie sogar kalten Herzens ein junges Mädchen erschlugen, das nicht richtig im Kopf war?
Ulrich schüttelte den Kopf. »Nein, Mesire, nein. Nur anders. Auf ihre Weise ist sie, glaube ich, intelligenter als die meisten von uns. Sie sieht nur die Dinge nicht so, wie wir es tun. Deshalb haben der Graf und die Gräfin sie schließlich zu den Zisterzienserinnen ins Kloster nach Papinberc gegeben. Als Herr Hertwig sich verabschiedete, sagte er, er wolle sie noch kurz besuchen, bevor er endgültig aufbreche. Er gestand mir, dass er das Geheimnis mit ihr teilen würde.«
Rogers hatte bei den letzten Worten Ulrichs das Gefühl bekommen, dass er auf einem Berggipfel stand. Rundherum war Nebel gewesen, so dass er nichts hatte sehen können. Aber nun löste die Sonne den Nebel auf, und er konnte alles in weitem Umkreis um sich herum erkennen. Vor allem konnte er erkennen, dass er mit den Zehenspitzen an einem sehr tiefen, sehr dunklen Abgrund stand. Eine Stimme in ihm sagte: Spring runter, du blinder Idiot, das ist alles, wofür du gut bist .
»Zisterzienserinnen?«, brachte er hervor.
»Ich habe mich nach Papinberc geschlichen, bevor ich mich hierher durchschlug. Ich wollte Hedwig sprechen und versuchen, von ihr zu erfahren …«
»Hedwig?«, krächzte Rogers.
»Hertwigs Schwester. Hedwig. Sie haben ihr den Namen als Ordensnamen gelassen, weil sie sich hartnäckig weigerte, einen anderen anzunehmen. Jedenfalls …«
»… war sie nicht mehr dort«, sagte Rogers.
»Genau. Wie es immer so ist. Und keiner wollte mir verraten, wo … Mesire, geht es Euch gut?«
»Mir geht es ausgezeichnet«, hörte Rogers sich von weither sagen. »Ich bin gerade erleuchtet worden.«
»Wie bitte?«
»Gott hat mir soeben gezeigt, dass ich von allen Volltrotteln der Welt der allergrößte bin.«
Ulrich machte ein peinlich berührtes Gesicht. Rogers zwang sich zu einem Lächeln. »Macht Euch keine Gedanken«, sagte er. Es war noch schwerer, den schockierten Blick seiner Mutter zu ignorieren. »Diese Erkenntnis kommt mir ab und zu.«
»Kann ich Euch helfen, Mesire?«
»Nein … nein. Kein Problem.« Rogers, dessen Körper immer noch ohne die Unterstützung seines Hirns arbeitete, weil sein Hirn in Deckung gegangen war, um sich nicht mit dem vollen Umfang seiner Dämlichkeit befassen zu müssen, spürte, wie er den Kopf schüttelte. »Ich danke Euch von ganzem Herzen, Herr Ulrich.«
»Wann immer ich Euch zu Diensten sein kann …«
»Sehr freundlich.«
»Wenn Ihr gestattet, werde ich mich zurückziehen und für meinen Herrn beten.«
»Betet auch für uns«, sagte Sariz de Fois sanft.
Ulrich verneigte sich vor ihr, beugte erneut vor Rogers das Knie und stapfte ins Haus zurück. Rogers sah aus dem Augenwinkel, wie seine Mutter sich zu ihm umdrehte und mit aufgebrachter Miene etwas zu sagen anhob, dann aber schwieg, als sie seinen Gesichtsausdruck erblickte.
»Sag es mir«, flüsterte sie.
»Die ganze Zeit«, stieß Rogers hervor. »Die ganze Zeit hatte ich die Lösung vor der Nase. Sie hat mich angelächelt, und ich habe
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