Die Pforten der Ewigkeit
den Arbeitern schienen das Versiegen des Kanals ebenfalls bemerkt zu haben und stapften herauf. Sie sah von weitem, wie einer von ihnen die Tür zu Wilbrands Hütte öffnete und etwas hineinrief. Endlich kam der Baumeister heraus und starrte nach oben. Dann begann er zu rennen.
Wenig später waren mehrere Handvoll Gaffer am Ufer des Sees aufgereiht und übertrafen sich mit Vorschlägen, wie das Treibgut am besten zu entfernen wäre. Jeder davon scheiterte an der Tatsache, dass ein paar Männer auf die ineinander verkeilte Masse hätten klettern müssen, um festzustellen, wo man am besten ansetzte. Es war vorauszusehen, dass man dabei durchbrechen konnte. Es war auch vorauszusehen, dass jemand, der durchbrach, unter das Treibgut geraten würde. Man konnte sich gegenseitig anseilen, um einen Verunglückten wieder herauszuziehen, aber es würde nur bedingt funktionieren mit all den Ästen und Stämmen und dem Zeug, in dem das Seil sich verfangen konnte. Das Risiko, dass man ertrank, war immens. Je öfter dieser Umstand offenbar wurde, desto weniger wurden die Vorschläge, bis sie schließlich versiegten. Wilbrand starrte den Haufen wie betäubt an. Er war blass, trug Bartstoppeln im Gesicht und die Miene eines Mannes, der erkannt hat, dass er wegen seines Selbstmitleids und seiner Unachtsamkeit eine Katastrophe verursacht hat.
»Ich führe die Trupps selbst an, die hinausgehen«, bot er an.
»Unsinn«, schnappte Elsbeth. »Wenn ich noch einmal so etwas höre, dann …«
»Was?«, erwiderte Wilbrand unglücklich. »Ertränkt Ihr mich im See?«
»Ohne den Zufluss über den Kanal«, hörte Constantia einen der Meister sagen, »macht der gesamte Bauplan für das Kloster keinen Sinn. Und alles, was bisher errichtet worden ist, auch nicht.«
»Es bringt kein Glück, mit Stein von einem Galgenberg zu bauen«, brummte ein anderer.
Elsbeth holte tief Luft. Wilbrand setzte an, dem Mann über den Mund zu fahren, schwieg aber dann. Constantia versuchte, sich über dieses neue Missgeschick zu freuen, stellte aber fest, dass die Häme in ihrem Herzen gerann. Diesmal sah es wirklich so aus, als seien nicht nur Neid und Missgunst, sondern göttliches Wirken gegen die Errichtung von Porta Coeli. Als es plötzlich zu regnen begann und der Wind die Tropfen über den See in die Gesichter der Zuschauer trieb, senkte Elsbeth den Kopf und erschauerte. Sie wirkte auf einmal klein und verloren zwischen den Arbeitern. Die Ersten wandten sich ab und stapften bereits nach unten. Zweifellos würden sie den direkten Weg zur Schänke nehmen und sich dort zusehends in die Vermutung steigern, dass der Bau nicht zu retten war. Wenn nicht schnell etwas passierte, würden die Ersten von ihnen die Baustelle verlassen, angefangen bei den Meistern, die auf die Unterstützung der Zünfte in Virteburh, Papinberc und Nuorenberc hoffen konnten, wenn sie für den Winter keine Arbeit fanden.
Constantia machte unwillkürlich einen Schritt auf Elsbeth zu, bevor sie sich selbst zurückhielt. Unbewusst hielten alle Abstand von der Klosterschwester, so dass sie allein unter den immer weniger werdenden Männern stand. Wilbrand zerrte resigniert an einem aus dem Wasser ragenden Ast und verschmierte sich die Hände mit verfaulter, schwarz gewordener Rinde. Constantia trat zum Rand des Damms und spähte hinunter. Die Arbeiter, die den Hügel verließen, informierten diejenigen, die unten geblieben waren. Nach und nach kamen alle Arbeiten auf der Baustelle zum Erliegen. Gesichter wandten sich nach oben. Aus der Klosterruine kamen die ersten grauen Gestalten, zweifellos auf der Suche nach ihrer Oberin, um die Sexthore zu beten. Auch sie schienen zu spüren, dass etwas nicht stimmte. Wo vor dem Mittagläuten, als Constantia sich zum Kreuzgang begeben hatte, noch emsige Betriebsamkeit geherrscht hatte, stand jetzt auf einmal alles still und starrte. Nur ein halbes Dutzend Männer bewegte sich über die Wiese, eine Gruppe, die zielgerichtet in Richtung Galgenhügel marschierte. Constantia erkannte von weitem Meffridus Chastelose, einen seiner Männer und vier weitere Gestalten, die ihr nichts sagten. Sie kniff die Augen zusammen. Was immer sie eben noch an Mitgefühl für Elsbeth empfunden hatte, verschwand angesichts des Mannes, zu dessen Zerstörung Elsbeth ihr Werkzeug war.
Meffridus hielt an, ließ sich offenbar von einem der Arbeiter darüber informieren, was geschehen war, und setzte sich dann wieder zusammen mit seinen Begleitern in Bewegung. Sie waren keine
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